Neue Weltordnung: Tiefe Gräben
Der Ukraine-Krieg mischt die Karten der Weltpolitik neu. Es ist davon auszugehen, dass sich der Systemwettbewerb zwischen Demokratie und Autokratie zusätzlich verschärft. Auch tun sich Gräben zwischen liberaler und gelenkter Wirtschaft auf.
Der Ukraine-Krieg wird heute oft als „Zeitenwende“ bezeichnet, von ähnlicher Bedeutung wie der Mauerfall 1989. Politik-Experte Thomas Eder kann diesem Vergleich allerdings nur bedingt zustimmen. Er forscht am Österreichischen Institut für Internationale Politik.
Demokratie vs. Autokraten
Eder meint im Interview mit dem GELD-Magazin: „Ich möchte nicht sagen, dass der Ukraine-Krieg ein Ereignis darstellt, das im Sinne des Mauerfalls grundlegende weltpolitische Veränderungen lostritt. Vielmehr werden sich durch den Krieg bereits bestehende Tendenzen verstärken bzw. verhärten.“
Damit meint der Experte die Systemkonkurrenz zwischen Demokratie und Autokratie: „Dieser Wettbewerb bestand bereits vor dem Ukraine-Krieg, China hat mit massiven Investitionen und Kreditvergaben kräftig für sein System geworben. Was mancherorts durchaus auch Anklang findet. Das Beispiel Russlands hat allerdings drastisch vor Augen geführt, dass Autokratien bereit sind, ihre Interessen auch mit Gewalt durchsetzen zu wollen.“
Spaltung der Welt
Wie wirkt sich nun der Ukraine-Feldzug auf die politische Weltordnung aus? Für Eder scheint klar: „Die demokratischen Systeme werden näher zusammenrücken, hier sehen wir den Block EU, Großbritannien und USA. Der Westen wird vermehrt nach Sicherheit suchen – das soll durch die EU aber vor allem die NATO verwirklicht werden.“
Aber auch bei den Autokratien wird der Schulterschluss enger: „Bereits im heurigen Februar haben China und Russland eine Erklärung für eine strategische Kooperation ohne Limits abgegeben. Jetzt wird die Zusammenarbeit durch den Krieg noch wichtiger. Das zeigt sich auch in der diplomatischen und wirtschaftlichen Hilfe Chinas gegenüber Russland, die Sanktionen des Westens sollen abgefedert werden.“
Kalter und heißer Krieg
Einen Systemwettbewerb sieht der Experte auch zwischen freier Marktwirtschaft und staatlich gelenkter Ökonomie: „China hat ja durchaus wirtschaftliche Erfolge aufzuweisen, es könnte sein, dass zunehmend mehr Staaten das chinesische Modell nachahmen wollen. Nach dem Motto: Mehr Staat, weniger Privat.“
Eder sieht leider auch die Gefahr, dass der berühmte Satz von Carl von Clausewitz, wieder an Bedeutung gewinnt: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Eder: „In Russland ist imperiales Denken erwacht. Wenn der Kreml nach seiner Definition den Ukraine-Krieg gewinnt, könnte das zu weiteren militärischen Aggressionen animieren. Vielleicht erneut gegen die Ukraine für zusätzlichen Territorium-Gewinn oder den Sturz der Regierung in Kiew. Mögliche, leichte` Ziele wären Georgien und Moldawien.“ An einen Angriff auf das Baltikum mit seinem teilweise sehr hohen russischsprachigen Bevölkerungsanteil glaubt der Experte in absehbarer Zukunft nicht, längerfristig könne man aber sogar das nicht ausschließen. Was fatal wäre: Estland, Lettland und Litauen sind bekanntlich nicht nur EU- sondern auch NATO-Mitglieder …