GELD-Magazin, Nr. 2/2025

Stefan Grasgruber-Kerl, Lieferkettenexperte bei der NGO Südwind, sagt zum GELD-Magazin: „Ursula von der Leyen hat seit der EU-Wahl leider beim Lieferkettengesetz eine 180-Gradwendung vollzogen. Das Gesetz wird um ein Jahr verschoben, und es soll ein Angriff auf dessen Substanz unternommen werden.“ Ein starker Kritikpunkt ist, dass beim neuen Lieferkettengesetz die zivilrechtliche Haftung fallen soll: „Somit wird ein Meilenstein demontiert, denn nur die zivilrechtliche Haftung schafft die Möglichkeit von Entschädigungen für betroffene Menschen“, so der Spezialist. Wann und in welcher Form das Lieferkettengesetz spruchreif wird, lässt sich noch nicht seriös abschätzen. Grasgruber-Kerl: „Ich hoffe, dass nicht alle ,Grauslichkeiten‘ kommen werden und dass sich die Vernunft durchsetzt. Wir, andere NGOs und Arbeitnehmervertreter machen diesbezüglich Lobby- und Medienarbeit, wo es nur geht.“ Ein Nachsatz, der zu denken gibt: „Früher waren NGOs und Arbeitnehmervertreter zu Konsultationsprozessen auf österreichischer und EU-Ebene eingeladen. NGOs werden nun ignoriert, Arbeitnehmerverbände nur sporadisch eingeladen. Die Industrie ist hingegen stark vertreten.“ Bitte warten! Apropos: In einer ersten Schätzung ist die Industriellenvereinigung (IV) davon ausgegangen, dass rund 100 Unternehmen in Österreich in den unmittelbaren Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. (Diese Größenordnung nennt auch Südwind.) Aus der IV heißt es: „Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich der Gesetzestext im Zuge der Überarbeitung durch die Omnibus-Richtlinie in den nächsten Monaten ganz prinzipiell weiterentwickeln wird. Häufig wird jedoch außer Acht gelassen, dass die Berichtsanforderungen von den großen Unternehmen an alle ihre Zulieferer weitergereicht werden. Dieser sogenannte ,Trickle-Down-Effekt‘ ist gerade auch im Zusammenhang mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erkennbar gewesen.“ Österreichischen Zulieferern (meist KMUs) steht laut IV eine regelrechte Bürokratieflut bevor, wenn sie weiterhin am Markt bestehen möchten: „Wir begrüßen daher, dass die europäische Kommission diesem Problem Rechnung tragen will, den ,Trickle-Down-Effekt‘ anerkennt und nach Maßnahmen sucht, diesen zu beschränken, zum Beispiel durch die Auflage, dass Unternehmen im Anwendungsbereich der KMUs nur bestimmte, taxativ aufgezählte Daten verlangen dürfen.“ NGOs meinen hingegen, dass KMUs in der Praxis fast gar nicht betroffen wären. Wer recht hat, weist die Zukunft. Wobei die Frage erlaubt ist, ob etwas mehr Bürokratie für global faire Arbeitsbedingungen nicht in Kauf genommen werden sollte. WIRTSCHAFT . Lieferkettengesetz Umstrittene Änderungen Stop the clock: Die EU verschiebt ihr anfänglich von NGOs hoch gelobtes Gesetz zu fairen Bedingungen für Zulieferer. Außerdem wird eine Aufweichung der substanziellen Inhalte befürchtet und heftig kritisiert. HARALD KOLERUS Arbeiten wie am Fließband: Wie viel Verantwortung muss der Westen übernehmen? Credit: beigestellt/Archiv; HongKi/stock.adobe.com Ausgabe Nr. 2/2025 – GELD-MAGAZIN . 15 „Der Retourgang in Sachen Nachhaltigkeit entspricht leider einem Trend auf Weltebene.“ Stefan Grasgruber-Kerl, Lieferkettenexperte bei der NGO Südwind

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