GELD-Magazin, Nr. 3/2024

Magere 0,8 Prozent soll die Eurozone im heurigen Jahr wachsen, die EU-27 um auch nicht gerade berauschende ein Prozent. Da kann man schon etwas neidisch über den großen Teich blicken: Für die Vereinigten Staaten werden 2024 immerhin 2,5 Prozent BIP-Anstieg erwartet. Von China ganz zu schweigen: 4,9 Prozent werden dem „roten Riesen“ vorhergesagt. Nur eine Momentaufnahme? Leider nein. Auch sehr langfristig betrachtet, fällt Europa bei den Wachstumszahlen hinter die USA zurück. Und gegenüber China erreicht das EU-Handelsbilanzdefizit zunehmend bedrohliche Dimensionen: 292 Milliarden Euro waren es 2023. Wie soll der ‚Alte Kontinent‘ nun reagieren, um nicht vollends unter die Räder zu geraten? Mehr Integration Das GELD-Magazin sprach zum brisanten Thema mit Atanas Pekanov, er war in Bulgarien Minister für EU-Förderungen, ist seit 2017 Ökonom am WIFO und dort Chef der EU-Themenplattform. Der Experte zieht zunächst zu den Erfolgen des europäischen Projekts Bilanz: „Die EU hat in den vergangenen Jahrzehnten für sehr viel Wirtschaftswachstum gesorgt, vor allem der Binnenmarkt erwies sich als Haupttreiber. Es kam zu mehr wirtschaftlicher Integration und Handel, besonders bei Gütern, der Servicebereich ist noch ausbaubar. Weiters hat sich der Euro zur zweitwichtigsten Weltwährung entwickelt und in vielen Regionen die Konvergenz zu den mittleren Einkommen erreicht.“ Allerdings sieht der Fachmann mittlerweile eine große Wachstumsdifferenz zu den USA: „1993 lagen die Vereinigten Staaten und die EU bei der Größe der Wirtschaft pro Einwohner gemessen gleichauf. In der Zwischenzeit sind, jeweils pro Kopf, die USA um 60 Prozent gewachsen, die EU um nur 40 Prozent.“ Das sei nicht nur auf einen Faktor zurückzuführen, aber mehr Integration wäre laut Pekanov und vielen anderen Ökonomen notwendig. Vor allem im Bereich der Infrastruktur für Telekommunikation, Verkehr, Transport und Energie wäre ein größeres Budget notwendig. Pekanov: „Ich unterstreiche, dass die EU unbedingt mehr Integration benötigt. Es sollte auf EUEbene erfüllt werden, was national nur schwer umzusetzen ist. Das betrifft zum Beispiel die Energiebeschaffung, aber auch Forschung, Innovation und Entwicklung. In den USA wird dieser Bereich föderal behandelt.“ Wo bleiben die Superstars? Abgesehen von diesem Top-Down-Ansatz drängt sich natürlich die Frage auf, warum gibt es eigentlich kein europäisches Amazon, Google, Facebook oder ähnliches? Also keine weltweit führenden Technologie-Firmen? Pekanov darauf: „Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten, aber wenn in Europa Start-ups einen größeren einheitlichen Markt hätten, könnten sie auch mehr erreichen. Hier haben es die USA oder China natürlich leichter.“ Auch hier würde das BRENNPUNKT . Europäische Union Sein oder nicht sein? Die EU gerät bei vielen wirtschaftlichen Indikatoren zusehends ins Hintertreffen. Werden wir zwischen den USA und dem aufstrebenden China aufgerieben? Lösungsansätze werden kontroversiell diskutiert. HARALD KOLERUS Credits: Alexander Müller; Michael/stock.adobe.com DIE GRÖSSTEN UNTERNEHMEN GLOBAL – EUROPA SCHMIERT AB RANG UNTERNEHMEN LAND UMSATZ 2022 BRANCHE 1. Walmart USA 611,2 Mrd.$ Handel 2. Saudi Aramco Saudi Arabien 603,7 Mrd.$ Öl und Gas 3. State Grid Volksrepublik China 530,0 Mrd.$ Versorger 4. Amazon.com USA 514,0 Mrd.$ Internethandel 5. China National Petroleum Volksrepublik China 483,0 Mrd.$ Öl und Gas … 15. Volkswagen Deutschland 293,7 Mrd.$ Automobile Quelle: Fortune „Die EU benötigt unbedingt mehr Integration.“ Atanas Pekanov, WIFO, ehemaliger Minister für EUFörderungen, Bulgarien 12 . GELD-MAGAZIN – Ausgabe Nr. 3/2024

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