GELD-Magazin, Nr. 5/2023

2 Zinserwartungen versus Realität – Investoren in der Zwickmühle Die inverse Zinskurve spiegelt die Erwartung wider, dass mittel- bis langfristig wieder mit niedrigeren Zinsen zu rechnen ist. Doch Vorsicht ist noch angebracht. Enttäuschungen können zu kurzfristigen Verwerfungen führen. Nachdem wichtige Zentralbanken, wie die amerikanische FED und die Bank of England, sich im Spätsommer dazu entschlossen haben, die Leitzinsen vorläufig nicht weiter zu erhöhen, stellen sich Anleger die Frage, ob das Ende des Zinserhöhungszyklus erreicht ist und ob wir bald fallende Zinsen sehen werden. Während die Investoren sich bereits entsprechend positionieren, betonen die Zentralbanken, dass sie bereit sind, die Zinsen weiter zu erhöhen, wenn sich die Inflation nicht so entwickelt, wie sie es sich wünschen. Somit stecken die Anleger in einer Zwickmühle. Zum einen könnten die Zentralbanken 2024 damit beginnen, die Leitzinsen zu senken. Das würde zu Kursgewinnen bei Anleihen führen. Zum anderen zeigt sich deutlich, dass die Inflation zwar zurückgeht, aber noch lange nicht im Zielkorridor der Zentralbanken ist, was weitere Zinserhöhungen mit den entsprechenden Folgen für Rentenpapiere durchaus möglich macht. Duration und Spreads beachten! Anleger sehen sich zudem mit inversen Zinsstrukturkurven konfrontiert. Sie bedeuten, dass kurzlaufende Anleihen und Geldmarktpapiere den Anlegern eine höhere Verzinsung als langlaufende Anleihen bieten. In einer solchen Konstellation ist es vorteilhaft, sich in Geldmarktpapieren zu positionieren, anstatt längere Laufzeiten zu halten. Denn wie schnell sich der Wind drehen kann, erlebten Anleger in 30-jährigen US-Staatsanleihen Mitte Oktober 2023: Als sich die Zinsstruktur dieser Anleihen zu normalisieren begann, erlitten Investoren binnen weniger Tage schmerzliche Kursverluste. Neben den Staatsanleihen sind auch Unternehmensanleihen und insbesondere hochverzinsliche Wertpapiere von den Maßnahmen der Zentralbanken betroffen. Neben den durch die Zinserhöhungen ausgelösten Kursverlusten, mussten Anleger in diesen Marktsegmenten noch weitere Kursverluste durch eine Ausweitung der Risikoaufschläge (Spreads) hinnehmen. Die Ausweitung der Spreads ist hierbei der Angst der Investoren vor Kreditausfällen geschuldet. Wie stark diese Angst gestiegen ist, zeigt sich in der Entwicklung der durchschnittlichen Renditen von hochverzinslichen Anleihen (Ratingstufe CCC oder schlechter) europäischer Emittenten bis zur Fälligkeit. Diese stiegen von Januar 2022 bis Ende September 2023 von 6,93 auf 18,41 Prozent. Fazit Insgesamt betrachtet ist die zukünftige Entwicklung an den Anleihenmärkten derzeit nur schwer einschätzbar. Auch wenn viele Anleger die Rückkehr der Zinsen begrüßen, wurde die straffere Geldmarktpolitik der Zentralbanken an den Rentenmärkten von heftigen Kursverlusten begleitet. Die negativen Reaktionen der Preise für Anleihen aller Art könnten sich bei einer Normalisierung der Zinsstrukturkurven oder bei unerwarteten Zinserhöhungen durch die Zentralbanken weiter fortsetzen. Dementsprechend sollten Anleger am Rentenmarkt vorsichtig agieren und abhängig von der Zinsstrukturkurve eher am kurzen Ende beziehungsweise im Geldmarkt investieren. Zwar bieten sich für aktive Investoren in so einem Marktumfeld immer wieder Gelegenheiten, einzelne Anleihen oder ganze Marktsegmente günstig zu kaufen. Doch um diese Titel zu finden, muss man jedoch über genaue Kenntnisse der einzelnen Anleihen und Marktsegmente verfügen. Dementsprechend sollten Investoren, die sich im derzeitigen Marktumfeld engagieren wollen und nicht über die entsprechenden Kenntnisse und den notwendigen Marktzugang verfügen, auf erfolgreiche Investmentfonds setzen. www.lipperleaders.com Detlef Glow, Head of Refinitiv Lipper EMEA Research GASTBEITRAG . Detlef Glow, Lipper Research FOTO: Archiv / CREDIT: Sergey Nivens/stock.adobe.com Dieser Artikel dient nur der Information und stellt keine Anlageberatung dar. Für den Inhalt der Kolumne ist allein der Verfasser verantwortlich. Der Inhalt gibt ausschließlich die Meinung des Autors wieder, nicht die von Refinitiv oder der LSEG. Ausgabe Nr. 5/2023 – GELD-MAGAZIN . 49

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