ZUR PERSON Mario Holzner (geboren 1976) ist seit 2019 Geschäftsführer des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Darüber hinaus koordiniert er die wirtschaftspolitische Entwicklung und Kommunikation mit Schwerpunkt auf europäischer Wirtschaftspolitik. Er hat sich kürzlich mit Fragen der Infrastrukturinvestitionen im Großraum Europa befasst und dabei eine europäische Seidenstraße vorgeschlagen. Holzner ist außerdem Lehrbeauftragter für Angewandte Ökonometrie an der Uni Wien, Institut für Wirtschaftswissenschaften. Er promovierte 2005 in Wirtschaftswissenschaften an der WU Wien. für Österreich: Unsere direkten Exporte nach CEE und SEE sind fast genau so wichtig wie die nach Deutschland. Dennoch haben Sie einmal geschrieben: „Osteuropa braucht ein neues Geschäftsmodell.“ Können Sie das bitte ausführen? Ich möchte es so ausdrücken: Der Osten ist bis zu einem gewissen Grad in einer Art „Fabriks-Ökonomie“ gefangen. Die Modernisierung geht deshalb nur langsam voran, dabei ist die IT-Ausbildung teilweise sogar besser als im Westen. In einigen Ländern des Ostens gibt es sehr gute mathematische Schulen: ein Erbe der kommunistischen Zeit. Dieses Potenzial gilt es weiter auszubauen und zu nutzen. Eine Neuausrichtung der Industriepolitik wäre ratsam – etwa vermehrt auf alternative Energiequellen zu setzen: ein riesiges Thema. Zur Ukraine: Ist es möglich, den ökonomischen Kriegs-Schaden abzuschätzen? Die Weltbank spricht von Kriegskosten in Höhe von mehreren hundert Milliarden US-Dollar. Die genauen Zahlen lassen sich jetzt nicht eruieren, klar ist, dass es um enorme Summen geht. Teile des Ostens und Südens der Ukraine werden aufgrund von Verminung, Zerstörung etc. für Jahrzehnte Brachland sein. Auch das demographische Problem wird sehr langfristig sein, Millionen Menschen haben das Land verlassen, viele werden nicht zurückkehren. Was den angestrebten EU-Beitritt nach Kriegsende betrifft, müsste der Westen die Ukraine aktiv unterstützen und keine Hinhaltetaktik wählen, wie bei den Westbalkanstaaten. Manche behaupten, die Sanktionen würden Europa mehr schaden als Russland. Es war von Anfang an klar, dass die Sanktionen nicht zu einem sofortigen Regimewechsel in Russland führen könnten. Dass sie nichts bringen, stimmt aber jedenfalls nicht. Zu bemerken ist das zum Beispiel bei dem Preis-Cap für russische Öl-Exporte: das Land muss Abschläge bei Erdölausfuhren nach Indien, China etc. hinnehmen. Wir erwarten, dass Russland heuer ein Budgetdefizit von 3,5 Prozent schreiben wird, in den nächsten Jahren wird das wohl ähnlich ausfallen. Durch Investments ins Militär kann zwar das BIP gesteigert werden, was nicht heißt, dass das gut für die Gesellschaft ist. Denn dafür müssen anderswo Abstriche gemacht werden. Prinzipiell möchte ich sagen, dass die Sanktionen zu einer gewissen „Primitivisierung“ der russischen Wirtschaft geführt haben, da es an High-Tech-Importen und Ersatzteilen mangelt. Das kann man aber schwer in Zahlen gießen. Aber wenn zum Beispiel bei den Autos der Airbag fehlt, kann man kaum noch von einem modernen Wagen sprechen. Wie geht es in Russland weiter? Das ist natürlich schwer vorherzusehen, die Ereignisse rund um Söldnerführer Jewgeni Prigoschin haben jedenfalls gezeigt, dass die Situation extrem unklar ist. Sie haben aber auch gezeigt, dass das von Putin erschaffene System in Russland auf extrem dünnen Füßen steht. Wann dieses System abgelöst werden könnte, weiß natürlich niemand. Das könnte noch Jahrzehnte dauern, es könnte aber auch schneller gehen. Auch an den Zusammenbruch der Sowjetunion haben wenige Wochen vor deren Ende nur wenige gedacht. www.wiiw.ac.at Ausgabe Nr. 4/2023 – GELD-MAGAZIN . 9
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