Gegenwart und Zukunft. Die Schlagzeilen wurden zuletzt von ChatGPT kräftig gepusht: Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde – und wirft entscheidende Fragen auf: Ist die neue Technologie Segen oder Fluch? Drohen Massenarbeitslosigkeit und Verarmung breiter Gesellschaftsschichten oder ist vielleicht doch ein angenehmeres Leben für einen Großteil der Menschheit absehbar? Die Wahrheit dürfte wohl irgendwo in der Mitte liegen. Für Einblicke sorgt jedenfalls Wirtschaftsjournalistin Manuela Lenzen in vorliegendem Buch „Der elektronische Spiegel“. Man merkt gleich, dass sie vom schreibenden Fach stammt: Das Werk lässt sich locker lesen, denn Lenzen verliert sich nicht in technischen, bzw. für Laien oft unverständlichen, Details, sondern zeichnet das große Bild. Dabei wird KI-Forschung mit den Feldern der Psychologie, Neurowissenschaften, Biologie und Philosophie verbunden. Erörtert wird nicht zuletzt die Frage, was Intelligenz überhaupt ist (auf jeden Fall mehr, als nur in einem Schachspiel zu gewinnen) und wie sie sich definieren lässt. Die Autorin: „KI ist noch lange nicht so klug wie wir. Aber gerade deshalb kann sie uns Aufschluss darüber geben, wie Intelligenz wirklich funktioniert und wer wir sind.“ Weitere clevere Sätze: „Wir sollten uns vor den Maschinen nicht klein machen. Wir sollten uns von ihnen nicht verwirren lassen. (...) Menschen müssen spielen, kommunizieren und interagieren, um klug zu sein. Gegen gelegentliches Nachdenken ist freilich nichts einzuwenden. Bedrohlich. Nicht erst seit dem brutalen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 lässt Wladimir Putin seine Muskeln spielen. Erinnert sei an die Eroberung der Krim und östliche Gebiete des Landes 2014 und die weiter zurückliegenden Konflikte in Georgien und Tschetschenien. Interventionen in Syrien sind auch nicht zu vergessen. All das und noch viel mehr beschreibt der ausgewiesene Russland-Kenner Michael Thumann, der seit über 25 Jahren aus Osteuropa für die ZEIT berichtet. Er skizziert Russlands Abgleiten in eine zunehmend totalitäre Diktatur und beleuchtet die Motive Putins für seinen immer radikaleren Weg: nämlich Revanche zu nehmen für die demokratische Öffnung nach 1991 und die vermeintliche Demütigung durch den Westen. „Putin sann vordergründig auf Rache für die vielen eingebildeten Beleidigungen. Tatsächlich aber schlug die langjährige Forderung nach gleicher Augenhöhe in seiner vierten Amtszeit um in den Anspruch auf Überlegenheit. Den wollte er nun in einem Krieg – militärisch und hybrid – durchsetzen“, so der Autor. Fazit: In diesem Werk werden die geopolitischen Zusammenhänge beschrieben, ohne die psychologische Seite und Detailwissen zu vergessen. (Sehr lesenswert ist etwa, wie es zur Abtrennung der Ukraine unter Boris Jelzin kam.) Thumann schließt das Buch mit harten Worten: „Putin kann sich nur noch auf eins verlassen. Sein hervorgehobener Platz in der Geschichte ist ihm sicher: als blutrünstigster Herrscher Russlands seit Josef Stalin.“ Weckruf. Es waren erschreckende Szenen, die sich am 6. Januar 2021 in Washington D.C., gerne als Hauptstadt der freien Welt bezeichnet, abspielten. Angefeuert vom damaligen Präsidenten, Donald Trump, stürmte eine wilde Horde das Kapitol und zog eine gewaltsame Spur, Todesopfer waren zu beklagen. Zu einem Staatsstreich oder Bürgerkrieg kam es nicht, als Garant für die Zukunft darf das aber nicht gesehen werden. Wobei sich die Frage stellt: Wie wird ein Staat eigentlich zu seinem eigenen Kriegsschauplatz? Das beantwortet Barbara F. Walter, sie lehrt Internationale Beziehungen an der University of California und ist Expertin zum Thema Bürgerkriege. Im vorliegenden Buch, das einem Weckruf gleichkommt, analysiert sie anschaulich, unter welchen Umständen Staaten in Aufruhr und Chaos abgleiten. Dabei verharrt sie nicht etwa in den Vereinigten Staaten, sondern wirft auch einen Blick auf Staaten wie den Irak oder den Nordirland-Konflikt. Der Letztgenannte wurde laut der Autorin vor allem durch eine systematisch ungerechte Behandlung der katholischen Minderheit befeuert. Auch im Irak fühlte sich ein großer Teil der Bevölkerung, die Sunniten, nach dem Sturz Saddam Husseins ausgegrenzt und benachteiligt. Das führte und führt leider noch immer zu Zwietracht und Gewalt. Und wie sieht es heute in den USA aus? Es gibt viele Globalisierungsverlierer, die sich für radikale Wege begeistern können. Ohne einen Bürgerkrieg an die Wand malen zu wollen, ist das sicherlich kein gutes Zeichen. Revanche Michael Thumann. Verlag: C.H.Beck. 288 Seiten. ISBN: 978-3-406-79935-8 Der elektronische Spiegel Manuela Lenzen. Verlag: C.H.Beck. 270 Seiten. ISBN: 978-3-406-79208-3 Bürgerkriege B.F. Walter. Verlag: Hoffmann und Campe. 320 Seiten. ISBN: 978-3-455-01510-2 BUCHTIPPS . Neuerscheinungen & Pflichtlektüre Credits: beigestellt 82 . GELD-MAGAZIN – Ausgabe Nr. 4/2023
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