Der Krieg kennt nur Verlierer Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) ist vor allem auf Studien in Zentral-, Ost- und Südosteuropa (CEE und SEE) spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt auch auf der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Somit ist wiiw-Direktor Mario Holzner ein idealer Ansprechpartner für die Entwicklung in der nächsten Nachbarschaft Österreichs – und für die Ukraine sowie Russland. Aber was bedeutet überhaupt der pauschale Begriff Osteuropa? Das GELD-Magazin versucht im Interview mit dem Experten eine Annäherung an unsere bekannten und unbekannten Nachbarn im Osten. Osteuropa ist ein weit gefasster Begriff, darf man alle Länder vom Baltikum bis sagen wir Rumänien oder Serbien überhaupt „in einen Topf“ schmeißen? Gemeinsam ist eines: 100 Jahre Wirtschaftsgeschichte haben gezeigt, dass die Region einem mehrfachen, einschneidenden Strukturwandel unterlegen ist. So sind die dort zu Beginn der 1980er Jahre geborenen Männer im Schnitt um einige Zentimeter kleiner als die Generationen davor oder danach. Ein Zeichen für Stress. Nichtsdestotrotz ist die Region sehr heterogen, die Voraussetzungen sind von Staat zu Staat verschieden. So ist in Estland heute der IT-Sektor sehr stark ausgebaut, das Land war auch das Zentrum der sowjetischen Computer-Industrie. Ein Spezifikum ist, dass in Ost- und Südosteuropa das Stadt-Land-Gefälle größer ist als wir es im Westen gewohnt sind. Das merkt man zum Beispiel an den Einkommen, oft herrscht in den ruralen Regionen bittere Armut, was zu Landflucht führt. Früher herrschte unter österreichischen Unternehmen mit Blick auf Osteuropa Goldgräberstimmung. Das ist jetzt aber doch aus den Schlagzeilen geraten – ist Ernüchterung eingekehrt? Ich möchte in diesem Zusammenhang keinesfalls von einem Rücksetzer sprechen. Österreich war ein First Mover in der Region, auch in kleineren Ländern, wie Kosovo, die für größere Player nicht so attraktiv waren. Österreich hatte und hat den Vorteil der geschichtlichen, kulturellen, sprachlichen und manchmal sogar familiären Bindung. Heimische Unternehmen haben beachtliche Investitionen getätigt, jetzt ist die „Pay-Back-Zeit“ gekommen, das heißt: Profite werden eingefahren. Wie wichtig sind CEE und SEE heute für die heimische Wirtschaft und österreichische Unternehmen? Die Region wächst über den Daumen gepeilt doppelt so schnell wie Westeuropa und bleibt damit interessant. Das gilt vor allem Der Überfall Putins verwüstet die Ukraine, der wirtschaftliche Schaden beträgt jetzt bereits mehrere hundert Milliarden Dollar. Aber auch Russland selbst leidet unter der Attacke, weiß Osteuropa-Experte Holzner. HARALD KOLERUS Credit: beigestellt „Dass die Sanktionen gegen Russland nichts bringen, stimmt nicht.“ UKRAINE: ÖKONOMIE IM KRIEGSZUSTAND WIRTSCHAFTSINDIKATOREN 2020 2021 2022 2023e 2024e 2025e Einwohner, in 1.000 Personen 41.745 41.378 35.000 – – – BIP, reale Veränderung in % -3,8 3,4 -29,1 2,0 4,0 6,0 BIP pro Kopf, EUR in Kaufkraftparität 8.570 9.410 9.030 – – – Bruttoindustrieproduktion, reale Veränderung in % -4,5 1,9 -36,7 – – – Arbeitslosenrate, in % 9,5 9,9 25,0 23,0 15,0 10,0 Durchschnittliches monatl. Einkommen, in EUR 376 434 437 – – – Verbraucherpreise, in % p.a. 2,7 9,4 20,2 14,0 9,0 7,0 Haushaltssaldo, in % des BIP -5,3 -3,5 -16,3 -27,0 -15,0 -10,0 Staatsverschuldung, in % des BIP 60,4 49,0 78,5 – – – Leistungsbilanz, in % des BIP 3,4 -1,9 4,9 2,0 -2,0 -4,6 Ausländische Direktinvestitionen, in Mio. EUR 266 6.717 348 – – – Bruttoauslandsverschuldung, in % des BIP 74,6 67,8 80,5 – – – Quelle: wiiw, ab 2023 Prognosen 8 . GELD-MAGAZIN – Ausgabe Nr. 4/2023 INTERVIEW . Mario Holzner, WIIW
RkJQdWJsaXNoZXIy MzgxOTU=