Alles schien so klar: Nach dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ verdichteten sich die Handelsströme, es wurde grenzübergreifend kräftig investiert, in Schwellenländern günstig produziert und „just in time“ rund um den Globus geliefert. Gewinner sollten sowohl Lieferanten als auch Empfänger sein. Disruption: Pandemie und Krieg Doch dann kam Corona und legte wichtige Lieferketten lahm, der Ukraine-Krieg sorgte für eine weitere heftige Erschütterung des Systems. Letztlich spricht der Kampf gegen den Klimawandel für die regionale Produktion. Ist der Traum von Globalisierung somit ausgeträumt? Benjamin Niestroj, Professor für digitale Ökonomie am deutschen Zukunftsinstitut, glaubt das nicht: „Die Globalisierung lässt sich nicht mehr umkehren. Wir sehen viel mehr, dass sich ihre Qualität verändert. Dass in diesem Prozess temporär die quantitativen Maßzahlen rückgängig sind, ist kein Beweis für eine komplette Trendumkehr. So sorgen die gegenwärtigen Krisen und Konflikte zwar für eine Reduktion von Handelsvolumina bei ehemals engen Handelspartnern – wie beispielsweise zwischen Deutschland und Russland –, hierbei dürfen wir aber nicht außer Acht lassen, dass sich die ehemaligen Partner bereits umorientieren und neue politische und wirtschaftliche Bündnisse schließen.“ Wohlstandsschub Sicher werde die Globalisierung laut dem Experten in den 2020er und 2030er Jahren nicht mehr den Charakter der 1990er Jahre haben, bei denen der globale Freihandel über alle politischen Grenzen hinweg das Leitbild darstellte. Aber man werde auch über die globalen politischen Bruchstellen hinweg zur wirtschaftlichen Kooperation gezwungen sein: „So bestehen einfach enge Interdependenzen zwischen vielen Ländern mit unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen – Stichwort Lieferketten. Die Globalisierung hat für gegenseitige Abhängigkeiten gesorgt, die nicht nur negativ zu bewerten sind. Vielmehr hat der Megatrend Globalisierung, bei allen nachteiligen Effekten, für einen enormen globalen Wohlstandsschub gesorgt.“ Aber wie soll Europa mit starken Abhängigkeiten, vor allem von Asien, umgehen? Niestroj: „Europa muss hier eine Doppelstrategie fahren: Zum einen müssen die Partnerschaften mit Ländern intensiviert werBRENNPUNKT . Deglobalisierung Geht die Luft aus? Lange Zeit wurde sie als alternavtivlos beschrieben: Die Globalisierung von Wirtschaft und Handel. Jetzt scheinen aber der Ukraine-Krieg und zuvor die CoronaPandemie einen Strich durch die Rechnung zu machen. HARALD KOLERUS Weniger Globalisierung würde das Wirtschaftswachstum schwächen. Credits: Delphotostock/stock.adobe.com 14 . GELD-MAGAZIN – Ausgabe Nr. 4/2023
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