der Industrie angekommen sind. Für 2024 haben wir beim IHS noch keine Prognose angestellt, die Inflation könnte sich dann aber auf einem Niveau von rund fünf Prozent bewegen. Tatsache ist: Unser Leben bleibt teuer. Wie sind Sie mit den heimischen Plänen zur Abfederung zufrieden? Es gibt ja heftige Kritik an der „Gießkanne“, was ist Ihre Meinung? In Summe halte ich die sehr vielen Maßnahmen für positiv, wobei ich die Kritik an der „Gießkannen-Methode“ schon nachvollziehen kann, denn es wird praktisch jeder profitieren. Allerdings ist es sehr schwierig, zielgerichtet vorzugehen, das ist viel leichter gesagt als getan. Es handelt sich bei dem umfangreichen Maßnahmenpaket aus meiner Sicht jedenfalls um keinen Fehlschlag. Eine durchaus umstrittene Forderung an die Regierung zielt in Richtung einer Senkung der Mehrwertsteuer ab – was halten Sie davon? Der Großteil der Ökonomen spricht sich einhellig gegen solche Pläne aus, dem schließe ich mich an. Denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine Senkung eins zu eins an die Konsumenten weitergegeben würde. Weiters besteht das Problem, für welche Güter die Reduktion gelten sollte? Beispiel: Es gibt „normales“ Brot als Grundnahrungsmittel genauso wie teure „Luxusprodukte“. Und letztlich würde mit einer generellen Senkung erst recht die Gießkanne für alle ausgeschüttet werden. Gefordert wird auch eine Besteuerung von Zufallsgewinnen ... Ich bin ein Gegner solcher Formen der Besteuerung, die übrigens steuerrechtlich und ökonomisch schwer zu definieren wären. Aber jedenfalls würden Unternehmen, die auf Erneuerbare Energien gesetzt haben, jetzt dafür bestraft werden. Das wäre ein schlechtes Signal und würde Investitionen in die Zukunft schädigen. Und wir benötigen enorme Investitionen in die Infrastruktur, Alternativenergie etc. dringend, wenn die Energiewende gelingen soll. Was wir ja alle wollen. Die Inflationsbekämpfung kostet Unsummen, wer soll das bezahlen? An dieser Stelle gilt es festzuhalten, dass der Schuldenstand der Republik gemessen am BIP gesunken ist und laut Prognosen weiter sinken wird. Durch die hohe Inflation wird die Problematik gemildert, weil Schulden „weginflationiert“ werden. Natürlich stimmt das Argument, dass kommende Generationen durch Deficit-Spending belastet werden, zumindest zum Teil. Aber was wäre jetzt die Alternative? Der Staat muss Solidarität zeigen und die Krise nicht voll durchschlagen lassen, das wäre der falsche Weg. Abschließend ein Schwenk zur Ukraine: Die Sanktionsfront in der EU scheint zu bröckeln. Sollte man sie aufweichen? Nein. Denn ich kann aus rein ökonomischer Sicht der These nicht zustimmen, dass die Sanktionen dem Westen mehr schaden würden als Wladimir Putin. Russlands Wirtschaft befindet sich auf Talfahrt, man kann dabei zusehen, wie ein Staat in die Misere schlittert. Daran ändern auch die geschönten offiziellen russischen Zahlen nichts. Auch wäre es naiv zu glauben, dass bei einer Aufhebung der Sanktionen Gas wieder ungebremst in den Westen fließen würde. Letztlich befinden wir uns in einer Auseinandersetzung zwischen einem westlich-liberalen Weltbild und der russisch geprägten Verachtung gegenüber unseren Werten. Sanktionen sind auch eine moralische Frage. www.ihs.ac.at Klaus Neusser: „Ich bin ein Gegner der Besteuerung von Zufallsgewinnen.“ November 2022 – GELD-MAGAZIN . 9
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