GELD-Magazin, November 2022

Die Marktdurchdringung der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) beträgt in Österreich rund vier Prozent. Im Vergleich dazu liegt die Durchdringung in Deutschland und den USA bei je gut 30 Prozent. Einige große Komplettanbieter am Markt, wie die Helvetia, bieten aufgrund des mangelnden Interesses in Österreich gar keine BU mehr an. Experten vom WIFO-Institut fordern daher eine verstärkte Bewusstseinsbildung für das Risiko des Verlustes der Erwerbsfähigkeit. Die Wiener Städtische plant daher, im kommenden Jahr dem Thema eine stärkere öffentliche Präsenz zu widmen. Einkommenslücke Nach Eintritt einer Berufsunfähigkeit muss das Humankapital als Einkommensquelle abgeschrieben werden, und die betroffene Person ist auf staatliche Transfers angewiesen. Dabei hängt die Höhe der gesetzlichen Berufsunfähigkeitspension vom Zeitpunkt innerhalb der Erwerbskarriere ab, zu dem der Verlust der Erwerbsfähigkeit eintritt, von der Höhe der bisherigen Gutschriften am Pensionskonto, vom aktuellen Erwerbseinkommen zu diesem Zeitpunkt und von der Zahl der verbleibenden Jahre bis zum Regelpensionsalter. Aber gerade mit dem Sozialrecht-Änderungsgesetz 2014 wurden die staatlichen Leistungen im Falle von Berufsunfähigkeit deutlich geschmälert, wie Marga Derstroff, Head of Life von Zurich, erklärt. Die Einkommenslücke ist beträchtlich. Die durchschnittliche Berufsunfähigkeitspension beträgt gerade einmal 1.224 Euro pro Monat. Bei Frauen liegt diese gar nur bei 1.000 Euro. Neben den Einkommenseinbußen aus der staatlichen Versicherung kommt hinzu, dass in den letzten Jahren BU-Pensionen von den Sozialversicherungsträgern nur sehr restriktiv zuerkannt wurden, wie Manfred Bartalszky, Vorstandsdirektor der Wiener Städtische Versicherung, erklärt. Von den rund 50.000 jährlichen Anträgen auf Zuerkennung einer dauerhaften Berufsunfähigkeitspension bei den Sozialversicherungen werden durchschnittlich nur etwa 15.000 bewilligt. Dies lässt sich vor allem damit erklären, dass für alle Personen bis zum 50. Lebensjahr der Antrag auf Berufsunfähigkeit vorrangig als Antrag auf Leistungen der Rehabilitation gilt. Anspruch besteht nur, wenn Rehabilitationsmaßnahmen nicht mehr zweckmäßig und zumutbar sind. Damit könnte es zu einer Situation kommen, wie in Deutschland, wo die Nachfrage nach einer privaten BU durch die Einführung des Hartz-IV-Sozialsystems angekurbelt wurde. Wer in Deutschland nach dem Geburtsjahr 1961 geboren ist, erhält dort keine gesetzliche Berufsunfähigkeitspension mehr. Wer braucht die BU? Wie eine Studie des WIFO zeigt, entsteht der größte Einkommensverlust bei Eintritt der Berufsunfähigkeit. 25-Jährige verlieren je nach Berufszugehörigkeit zwischen einem Drittel und etwas mehr als die Hälfte ihres Nettolebenseinkommens. Mit steigendem Lebensalter nimmt diese Einkommenslücke langsam ab. Der Einkommensverlust nach Erleiden der Berufsunfähigkeit entsteht aber nicht nur während der Erwerbszeit, sondern setzt sich darüberhinausgehend im Ruhestand fort, wie die Autoren der WIFOStudie schreiben, weil die Berufsunfähigkeitspension mit Erreichen des Regelpensionsalters ohne eine Änderung in eine Alters-Pension umgewandelt wird. Besonders VERSICHERUNG . Berufsunfähigkeit Einkommen versichern Die private Absicherung des Erwerbseinkommens fristet in Österreich noch ein Schattendasein, denn viele meinen, der Staat wird es schon richten. Jedoch lässt diese Hilfsbereitschaft immer mehr nach. CHRISTIAN SEC Credits: rawpixel/freepik.com; Wiener Städtische/Jeff Mangione Staatliche BU-Pension Versicherte Personen gelten in der staatlichen Berufsunfähigkeitspension als berufsunfähig, wenn deren Arbeitskraft durch ihren körperlichen oder geistigen Zustand auf weniger als die 50% derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten bei ähnlicher Ausbildung und grundsätzlich ähnlichen Kenntnissen und Fähigkeiten abgesunken ist und wenn in den letzten 15 Jahren mindestens 90 Pflichtversicherungsmonate (7,5 Jahre) eine Berufstätigkeit oder eine Erwerbstätigkeit als Angestellte/Angestellter oder Arbeiter ausgeübt wurde. Jedoch gilt das Prinzip Umschulung vor Pension. „BU-Pensionen werden von den Sozialversicherungsträgern nur sehr restriktiv zuerkannt.“ Manfred Bartalszky, Vorstandsdirektor der Wiener Städtische Versicherung 66 . GELD-MAGAZIN – November 2022

RkJQdWJsaXNoZXIy MzgxOTU=