GELD-Magazin, Oktober 2022

Der Klimawandel bzw. dessen Auswirkungen scheinen sich zu beschleunigen, waren frühere Prognosen zu milde? Obwohl die meisten Prognosen aus der Wissenschaft recht gut stimmen, gibt es tatsächlich eine Konstante: Wenn Wissenschafter mal daneben liegen, dann stets so, dass das Tempo und die Intensität der Eskalation unterschätzt wurde. Das Problem ist aber nicht die Wissenschaft. Das Problem ist, dass die meisten Medien selbst über eindringliche wissenschaftliche Warnungen zu nebensächlich oder zu verharmlosend berichten. Beispiele dafür sehe ich fast jeden Tag. Unsere Situation erinnert schon sehr an den Film „Don’t look up“. Wir leben in einer Klima-Illusion. Je später wir diese hinter uns lassen, umso härter wird es uns treffen. Wie beurteilen Sie die Klimapolitik in Österreich? Sie haben in diesem Zusammenhang von „Scheinklimaschutz“ gesprochen ... Österreich ist eines von wenigen Ländern in der EU, das seine Emissionen seit 1990 nicht reduzieren konnte, trotz 30 Jahren Klimapolitik. Wie kann das sein? Wir haben so getan, als könnten wir das Problem mit kleinen freiwilligen Maßnahmen, wie einer Solarförderung, lösen. Trotz wiederholt verfehlter Ziele wird diese Politik von WählerInnen bis heute belohnt. Warum? Weil es uns als Gesellschaft nie primär darum ging, Emissionen zu vermeiden. Es ging primär darum, unseren fossilen Lebensstil möglichst billig aufrechtzuerhalten, auch mit Scheinklimaschutz, bei dem wir nur so tun, als wäre uns das Thema wichtig, ob bei politischen Wahlen oder beim Einkaufen. So haben wir über Jahrzehnte eine sehr große Rechnung angeschrieben, die nun in Raten fällig wird. Sind die Klimaziele von Paris überhaupt noch zu erreichen? Man könnte ja pessimistisch meinen: Es ist ohnedies schon alles verloren ... Das 1,5-Grad-Limit ist nicht mehr zu halten. Dafür hätte man seit 2015 Emissionen konsequent senken müssen. Das Gegenteil ist passiert: Sie sind weiter gestiegen. Die gute Nachricht ist: Wir können die Erhitzung noch deutlich unter der wichtigen Marke von zwei Grad halten, aber nur, wenn die Emissionen global rasch zu sinken beginnen. Für Emissionsreduktionen wird es allerdings nie zu spät sein, weil jedes zehntel Grad zählt. Was muss sich ändern, um den Klimawandel zu stoppen? Sind die Ziele von Paris überhaupt ambitioniert genug? Die Ziele von Paris sind ambitioniert genug, was nicht passt ist, ist die Umsetzung. Es bräuchte entweder ein technologisches Wunder oder eine gesellschaftliche Bewegung, die in sämtlichen Ländern eine bessere Klimapolitik von unten fordert bzw. erzwingt. Da es ziemlich riskant ist, unsere Zukunft von Wundern abhängig zu machen, wäre es für uns alle besser, wenn ‚Fridays for Future‘ und ähnliche Bewegungen wieder starken medialen Druck aufbauen könnten. Ohne diesen Druck, wird der nötige Wandel zu langsam sein. Vielleicht sollte man sich neben der CO2Reduktion auf die Eindämmung von Klimaschäden konzentrieren? Wir brauchen mittlerweile alles: weniger Emissionen; Anpassung, um Schäden zu minimieren; und mehr intakte Wälder, die CO2 binden. Leider stoßen wir aber schon jetzt an Grenzen der Anpassung und immer mehr Wälder leiden unter Klimastress oder brennen ganz ab - und setzen so CO2 frei, statt es zu binden. An massiven CO2-Reduktionen führt also kein Weg vorbei. Welche Auswirkungen hat der UkraineKrieg auf die Klimapolitik? Zum einen lässt der Krieg und seine Folgen weniger politischen Platz für Klimapolitik. Einmal mehr gilt es, eine akutere Krise zu lösen. Zum anderen werden die hohen Preise für Fossilenergie den Umstieg auf „Erneuerbare“ mehr beschleunigen, als das Klimapolitik bislang vermocht hat. Außer, sämtliche Preisanstiege werden gedeckelt, dann fiele dieser wichtige Lenkungseffekt weg. Wenn wir es richtig machen, dann wird Putin als Klimaschützer wider Willen in die Geschichte eingehen. https://boku.ac.at ZUR PERSON Dr. Reinhard Steurer ist assoziierter Professor am InFER (Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik), BOKU – Universität für Bodenkultur, Wien. Zuvor war er unter anderem Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien zum gesellschaftlichen Kontext wirtschaftlichen Handelns und Vertragsassistent mit Forschungsschwerpunkt für Nachhaltige Entwicklung (www.sustainability.eu) an der Wirtschaftsuniversität Wien. Den Dr. phil. erhielt er in Politikwissenschaft an der Universität Salzburg, 2012 bis 2013 erlangte er die Habilitation in Vergleichender Politikwissenschaft. Weiters ist er Master in Public Policy (Postgraduate-Ausbildung an der University of Maryland/USA). Oktober 2022 – GELD-MAGAZIN . 9

RkJQdWJsaXNoZXIy MzgxOTU=