Wenn eine Privatperson oder ein Unternehmen zu hohe Schulden anhäuft, droht der Konkurs. Wenn ein Staat massiv in der Kreide steht, wird hingegen oft generös darüber hinweggesehen. In den vergangenen Jahren erfolgte das mit Hinweis auf die niedrigen Zinsen, die eine günstige „Verschuldungssituation“ ermöglichten. Die Zeiten haben sich allerdings dramatisch geändert: Corona und jetzt der Ukraine-Krieg haben zu ungeahnten staatlichen Unterstützungsmaßnahmen geführt, bei gleichzeitig steigenden Zinsen, was den Schuldendienst und somit die Budgets belastet. Wie beunruhigend ist die Konstellation? Keine Explosion Gerhard Winzer, Chefvolkswirt der Erste Asset Management, spricht frei von der Leber weg: „Weltweit geht der Trend bei der Staatsverschuldung weiter nach oben. Die Entwicklung ist nicht günstig, das bedeutet aber nicht, dass eine Schuldenkrise kommen wird!“ Er erklärt diese Einschätzung mit folgendem ökonomischen Prinzip: „Wenn die nominellen Zinsen unter dem nominellen Wirtschaftswachstum bleiben, verläuft die Dynamik nachhaltig. Soll heißen: Es kommt zu keiner Schulden-Explosion. Nur dann, wenn die Zinsen über dem Wachstum liegen, haben wir ein unmittelbares Problem.“ Diese Negativ-Konstellation sieht der Experte derzeit nicht: „Tatsächlich scheint so etwas wie eine Zinswende eingetreten zu sein, unser ,Most-Like-Szenario‘ geht aber nicht von rasant steigenden Zinsen aus. Denn es ist wahrscheinlich, dass sich die Inflation auf lange Sicht knapp über dem Ziel der EZB einpendeln wird.“ Was allerdings nicht bedeutet, dass alles eitel Wonne ist: „Dass die EZB im heurigen Juli mit dem Transmission Protection Instrument (TPI) ein neues ‚Werkzeug‘ erfunden hat, spricht dafür, dass die Schuldenproblematik von ihr sehr ernst genommen wird“, erläutert Winzer. Wunderwaffe TPI? Werfen wir einen genaueren Blick auf das TPI: Vereinfacht gesagt, ermächtigt es die EZB, gezielt und unbegrenzt Staatsanleihen einzelner Euro-Länder zu kaufen, wenn „Feuer am Dach ist“. Etwas formaler ausgedrückt: Das TPI kann aktiviert werden, um unerwünschter Volatilität in Bezug auf die Marktdynamik entgegenzuwirken. Das TPI wird sich hauptsächlich auf Wertpapiere des öffentlichen Sektors mit einer Restlaufzeit zwischen einem und zehn Jahren konzentrieren. André Figueira de Sousa, Fixed Income-Fondsmanager bei DPAM kommenSchulden über Schulden Corona, Ukraine-Krieg, massive Inflation: Schwere Krisen zwingen die europäischen Staatschefs zum Handeln. Das kostet enormes Geld und lässt den Schuldenstand explodieren. Wie lange kann das noch gutgehen? HARALD KOLERUS Credits: beigestellt, Archiv; fotomek/stock.adobe.com 14 . GELD-MAGAZIN – September 2022 In die Prognosen fließen die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs bisher nur begrenzt ein. Der Schuldenberg in der Eurozone könnte sich also noch um einiges erhöhen. Besonders die Situation in Italien sorgt unter Ökonomen für Kopfzerbrechen. Staaten greifen tief in die Tasche Quelle: Statista/IWF Prognose 50% 0% 100% 150% 200% 250% 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 ‘21 ‘22 ‘23 178,7% 148,7% 115,9% 112,9% 93,4% 67,7% Griechenland Italien Spanien Frankreich Eurozone Deutschland „Die Entwicklung ist nicht günstig, das bedeutet aber nicht, dass eine Schuldenkrise kommen wird!“ Gerhard Winzer, Chefvolkswirt Erste AM Management in Prozent des BIP BRENNPUNKT . Eurokrise 2.0
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