GELD-Magazin, September 2022

Österreichische Post AG | MZ 03Z035262 M | 4profit Verlag GmbH, Rotenturmstraße 19/1/29 B, 1010 Wien | Ausgabe 09/2022 | 6,90 Euro Finanzpolitik + Volkswirtschaft + Länder- und Branchenanalysen + Banking + Investmentfonds + Aktien + Immobilien + Rohstoffe + Blockchain + Alternative Investments + Versicherungen EUROPA GEGEN PUTIN: Der Gaspreis hat sich vervielfacht – die Stromkosten ebenso. Zu den hohen Preisen kommt noch die Versorgungsunsicherheit. Wie sich das auf die Wirtschaft auswirkt. DAS MAGAZIN FÜR WIRTSCHAFT, POLITIK & INVESTMENTPRODUKTE Eurokrise 2.0 Energiekrise und höhere Zinsen, die Schulden der Staaten steigen weiter. Wann wird das zum Drama? Anleihen wieder gefragt Fixverzinste bieten wieder gute Renditen. Die Auswahl ist jedoch wichtig. Hier die besten Fonds. Aufgehende Sonne China will die Wirtschaft noch stärker unterstützen. Das sollte positiv auf die Aktienkurse wirken. Automatisierung & Robotik Sie sind die Antriebskräfte eines neuen Booms. Wie Sie an diesem Trend am besten mitverdienen. Energiepreise steigen enorm!

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September 2022 – GELD-MAGAZIN . 3 Die Aktienbörsen haben sich im Sommer – zumindest bis Mitte August – gut erholt. Die Optimisten gewannen die Oberhand, da die Unternehmensergebnisse im zweiten Quartal in der Regel durchaus gut ausfielen. Währenddessen mehrten sich über den Sommer aber die Anzeichen, dass die Inflation länger und höher ausfallen wird als erwartet – nach Schätzungen des Wifo bereits im September auf mehr als zehn Prozent. Die Spitze der Inflation könnte sogar erst im ersten Quartal 2023 erreicht werden. Bislang hoffte man, bereits den Gipfel überwunden zu haben. Jedenfalls nahm die Inflation in den USA im Juli tatsächlich von 9,3 auf 8,5 Prozent ab, in Europa legte sie hingegen noch von 8,6 auf 8,9 Prozent zu, in Österreich von 8,5 auf 9,3 Prozent (die höchste Teuerungsrate seit 1975). Besonders brisant ist, dass der Miniwarenkorb, der die Produkte des wöchentlichen Einkaufs repräsentiert, um sagenhafte 19,1 Prozent gestiegen ist. Ein Inflationsausgleich von unter zehn Prozent – zumindest bei Geringverdienern und Pensionisten mit Mindestrente – wäre schlicht unverantwortlich. Der ifo-Geschäftsklimaindex ist im August weiter gefallen. Besonders die Erwartungen an die weitere Geschäftsentwicklung sind düster – und es ist noch keine Besserung in Sicht. Die rezessiven Tendenzen nehmen weiter zu. Die Industrie leidet unter hohen Produktionskosten – vor allem infolge der rasant steigenden Preise für Energie und Vorprodukte. Die Haushalte ächzen unter stark steigenden Lebenshaltungskosten, was den Menschen die Kauflaune ordentlich verdirbt (siehe Artikel ab Seite 10). Vonseiten der Energiepreise ist voraussichtlich noch längere Zeit keine Entspannung zu erwarten, da die Erdgaslieferungen seitens Russlands, wenn überhaupt, dann nur zu sehr hohen Preisen substituiert werden können. Damit ist eine Rezession im Winter bereits ausgemachte Sache – die Frage ist nur, wie stark und wie lange sie ausfallen wird. Das hängt kurioserweise nicht zuletzt von Russlands Gnaden ab. Bis wieder Licht am Konjunktur-Horizont sichtbar wird, ist es bei der Geldanlage empfehlenswert, auf der konservativen Seite zu bleiben: absichern, Cashanteile und nur ausgewählte Investments halten. Jetzt ist noch die Zeit, auf Kapitalerhalt zu achten – als vermeintlichen Chancen hinterherzulaufen. Mario Franzin, Chefredakteur GELD-Magazin Harter Winter editorial impressum MEDIENEIGENTÜMER UND HERAUSGEBER 4profit Verlag GmbH · MEDIENEIGENTÜMER-, HERAUSGEBER- UND REDAKTIONSADRESSE Rotenturmstraße 19/1/29B, 1010 Wien T: +43/676/570 95 10 · E: [email protected] · GESCHÄFTSFÜHRUNG Snezana Jovic, Mario Franzin · CHEFREDAKTEUR Mario Franzin REDAKTION Mario Franzin, Mag. Julia Kistner, Mag. Harald Kolerus, Michael Kordovsky, Wolfgang Regner, Moritz Schuh MSc, Mag. Christian Sec, LEKTORAT Mag. Rudolf Preyer GRAFISCHE LEITUNG Noura El-Kordy · COVERFOTO Jakub/stock.adobe.com · DATENANBIETER Lipper Thomson Reuters*, Morningstar · VERLAGSLEITUNG Snezana Jovic · BACKOFFICE & EVENTMARKETING Ivana Jovic · PROJEKTLEITUNG Dr. Anatol Eschelmüller · IT-MANAGEMENT Oliver Uhlir · DRUCK Berger Druck, 3580 Horn, Wiener Str. 80 · VERTRIEB PGV Austria, 5412 Puch, Urstein Süd 13. www.geld-magazin.at ABO-HOTLINE: +43/699/1922 0326 · [email protected] * Weder Lipper noch andere Mitglieder der Reuters-Gruppe oder ihre Datenanbieter haften für Fehler, die den Inhalt betreffen. Performance-Ranglisten verwenden die zur Zeit der Kalkulation verfügbaren Daten. Die Beistellung der Performance-Daten stellt kein Angebot zum Kauf von Anteilen der genannten Fonds dar, noch gilt sie als Kaufempfehlung für Investmentfonds. Für Investoren gilt es zu beachten, dass die vergangenen Performancewerte keine Garantie für zukünftige Ergebnisse darstellen.

09.2022 BRENNPUNKT 06 Kurzmeldungen USA: Großer Erfolg für Biden+RezessionsGefahr: Die Spannung steigt. 08 InterviewHolger Schmieding Der Chefvolkswirt der Berenberg Bank hofft auf den Börsenfrühling. 10 Energiekosten Teures Erdgas heizt die Inflation an, wie geht es jetzt weiter? 14 Schuldenkrise Die EU schüttet das Füllhorn aus – ist das zu viel des Guten? 18 Hunger Nahrungsmittel werden empfindlich teurer, die Entwicklungsländer leiden ammeisten. WIRTSCHAFT 22 Kurzmeldungen Konjunktur Österreich: Starke Abkühlung+ Steuereinnahmen: Neue Rekorde. 24 Interview Stefan Bruckbauer Der Spitzen-Ökonom rechnet nicht mit einer einschneidenden Rezession. BANKING 26 Kurzmeldungen Filialen: VomAussterben bedroht +BankenStudie: Renditen schrumpfen. 28 Wertpapierfirmen Ein neues Gesetz mischt die Karten in der Branche neu, Banken könnten bald neue Konkurrenz bekommen. 30 Kredite Welchen Einfluss steigende Zinsen auf die Immobilienfinanzierung haben. MÄRKTE & FONDS 32 Kurzmeldungen Wasser: Klares Zukunftsthema+ Infra- struktur-Investments: Zug fährt ab. 34 Anleihen-Investments Fixe Zinsenwerdenwieder attraktiver. 38 Tabelle Anleihenfonds Die besten Produkte imÜberblick – alle Regionen und Investmentstile imTest. 40 China Wirtschaft und Anleger-Stimmung drehen imReich der Mitte wieder nach oben. 44 Robotik Automatisierung krempelt dieWirtschaftswelt um und eröffnet Investmentchancen. 48 Immobilienfonds Steigende Zinsen belasten. 52 Währungen Devisenfonds waren zuletzt nicht der Knüller. Experten erklärenwarum. 54 Rohstoff-Radar Öl: Rezessions-Ängste +Platin: Angezählt. inhalt Credits: beigestellt; Miha Creative, Jeson, Jakub/stock.adobe.com Berenberg-Volkswirt Schmieding kommentiert die „Ausnahmesituation“ an den Börsen. Seite 08 TEURER WEIZEN In der Ukraine hapert die Ernte, das könnte in armen Staaten zu einer Hungersnot führen. Seite 18 4 . GELD-MAGAZIN – September 2022

56 Gold Das Edelmetall ist kein Spekulationsobjekt. Stattdessen sollte es der Diversifikation und demWerterhalt dienen. AKTIEN 58 Kurzmeldungen FlughafenWien: Übernahmeangebot + Valneva: Tot-Impfstoff gegen Corona 60 Weltbörsen USA: „Perfekter“ Juli +Europa: Aufholjagd gestartet + Japan: Schwacher Yen+China: In der Liquiditätsfalle? 62 Anlagetipps Visa: Gewinnsprung vermeldet + Iberdrola: Erfreulich hohe Renditen+Eckert & Ziegler: Zu tief gefallen. 64 Börse Deutschland Die hohen Gaspreise belasten, zusätzlich wirkt die Gasumlage wie eine Sondersteuer. 66 BörseWien Die Industrie stöhnt unter der Energiekrise, Versorger freuen sich hingegen. BLOCKCHAIN 70 Kurzmeldungen Samsung: Kryptobörse geplant +BlackRock: Neuer Bitcoin-Trust aufgelegt. 72 InterviewHa Duong Der erfolgreiche Fondsmanager bei BIT Capital erklärt die Ursachen des Krypto-Crashs. IMMOBILIEN 74 Kurzmeldungen Malediven: Schwimmende Städte geplant + Gesundheits-Immos: Starke Nachfrage. 76 TeuresWohnen Kann eine Leerstandsabgabe dieMieten drücken? DieMeinungen sind zweigeteilt. VERSICHERUNG &VORSORGE 78 Kurzmeldungen Zinswende: Gut für Versicherer +Feuer, Explosionen &Co.: Milliardenschäden. 79 FLV-Listing Der monatliche Überblick zur Fondsgebundenen Lebensversicherung. 80 Krankenversicherung Prävention hat Vorrang! 82 Buchtipps Henry Kissinger: Weltordnung+Hermann Simon: Die Inflation schlagen. ENERGIEKRISE Konsumenten und Industrie ächzen unter hohen Gas-Preisen. Alternativen werden fieberhaft gesucht. Seite 10 ROBOTIK Die Zukunft der Wirtschaft. Seite 44 September 2022 – GELD-MAGAZIN . 5

BRENNPUNKT . Kurzmeldungen Credits: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International/Bestalex; Alamy; beigestellt; Archiv Rezession Die Spannung steigt Erhöhtes Risiko. Die Weltwirtschaft scheint auf eine Rezession zuzusteuern, meint Jeremy Lawson, Chief Economist am abrdn Research Institute. Zwar sei eine weiche Landung möglich, doch es gebe nur wenige historische Beispiele, bei denen Ungleichgewichte in der heutigen Größenordnung ohne eine Rezession abgebaut wurden: „Das Jahr 2023 ist der wahrscheinlichste Zeitpunkt für eine globale Rezession. Ein früherer Zeitpunkt wäre allerdings nicht überraschend“, so der Ökonom wenig optimistisch. Ursachen für den möglichen Abschwung: Natürlich berge der Krieg in der Ukraine auch durch seine Auswirkungen auf die Rohstoffpreise Rezessionsrisiken. Den größten Einfluss auf einen globalen Wirtschaftsabschwung habe aber die weltweit zu beobachtende Straffung der Geldpolitik. DIE ZAHL DES MONATS 27,5 Billionen Nachhaltig am Vormarsch. Laut einer aktuellen Studie von Schroders wird Impact Investing neben ESG-Integration und Positivscreening mittlerweile als eine der wichtigsten Säulen des nachhaltigen Investierens angesehen. Für die großangelegte Analyse wurden 770 Institutionelle Anleger befragt, die insgesamt 27,5 Billionen Dollar an Vermögenswerten verwalten. Knapp die Hälfte (48 %) der Investoren weltweit gab an, dass Impact Investing ihr bevorzugter Ansatz zur Umsetzung von Nachhaltigkeit sei – ein deutlicher Anstieg gegenüber 38 Prozent vor einem Jahr und 34 Prozent in 2020. Bei den in Europa befragten Anlegern liegt dieser Anteil mit 50 Prozent sogar etwas höher (2021: 41 %, 2020: 32 %). Die Studie ergab auch, dass die Bedeutung einer vollständigen ESG-Integration in den Anlageprozess zugenommen hat, was diesen Ansatz unter den Investoren noch stärker in den Vordergrund rückt. USA: Biden setzt sich durch Klimapaket bricht Rekorde. Die Situation rund um die Erderwärmung spitzt sich dramatisch zu, wie nahezu alle Experten bestätigen. Denn im Zuge des Ukraine-Kriegs sind fossile Brennstoffe (zumindest kurzfristig) wieder in Mode gekommen. Erfreulich, dass es jetzt aber endlich eine gute Nachricht gibt: Nach Monaten der Auseinandersetzung haben es die Demokraten des US-Senats endlich geschafft: Der „Inflation Reduction Act“ wurde gebilligt. Von den 739 Milliarden Dollar, die das Gesetz bereitstellt, sind 369 Milliarden für den Klimaschutz vorgesehen. Die stattliche Summe soll die Umstellung auf nachhaltige Energieerzeugung, Mobilität und Heizungssysteme sowie die landesweite Reduktion von Emissionen vorantreiben. Allein 200 Milliarden Dollar davon sind für die Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energieerzeugung reserviert. Darüber hinaus könne das Gesetz die Entwicklung der Technologie von CO2-Abscheidung und -Speicherung begünstigen, die CO2 direkt nach dem Ausstoß aus der Atmosphäre entfernt. Alles in allem ist das die größte Klima-Investition in der Geschichte der Vereinigen Staaten. Ein großer Erfolg für Präsident Biden, vor allem wenn man bedenkt, dass sein Vorgänger Trump noch als vehementer Klimaleugner aufgetreten ist. „Eines ist klar: Das neue Gesetz könnte wegbereitend für einen fundamentalen, ökologischen Wandel sein. Es wird der Branche für nachhaltige Energie weiteren Schub verleihen“, sagt Rahul Bhushan, Co-Gründer des thematischen ETF-Anbieters Rize ETF. Das Gesetzespaket könnte bis 2030 – im Vergleich zum Wert aus 2005 – 40 Prozent der CO2-Emissionen in den Vereinigten Staaten einsparen. „Es besteht kein Zweifel, dass wir es mit einem historischen Schritt zu tun haben“, bekräftigt auch ein Atmosphärenforscher der University of Georgia. Bemerkenswert: Die Biden-Regierung wollte eigentlich ein noch umfassenderes Klimapaket durchsetzen, das jedoch im Februar am Widerstand im Senat gescheitert war. Digitalisierte Welt. Globale Technologie-Aktien erlebten zuletzt einen bemerkenswerten Aufschwung. Jedoch verwundert einige Anleger die schwache Performance des Sektors im bisherigen Jahresverlauf. Denny Fish, Portfolio-Manager bei Janus Henderson, kommentiert: „Heuer haben größtenteils makroökonomische Faktoren Tech-Aktien belastet, da die Investoren Gegenwind wie Inflation, steigende Zinsen und eine potenzielle Konjunkturverlangsamung berücksichtigt haben.“ Längerfristig ist er jedoch der Ansicht, dass Fundamentaldaten die endgültige Determinante der Anlagerenditen sind. Seiner Ansicht nach sind die Unternehmen, die auf längere Sicht attraktive Ergebnisse erzielen können, weiterhin diejenigen, die thematisch auf die fortschreitende Digitalisierung der Weltwirtschaft ausgerichtet sind. Dazu gehören vor allem Themen wie Künstliche Intelligenz, die Cloud, das Internet der Dinge (IoT) und 5G-Konnektivität. Denny Fish, Portfolio-Manager bei Janus Henderson Investors Tech-Titel: Nicht unterschätzen US-Präsident Joe Biden kämpft gegen die Inflation 6 . GELD-MAGAZIN – September 2022

China-Investments: Nein, danke! Gefährlich. Nachdem China schon einige Zeit untergewichtet war, hat Investment-Manager Jason Pidcock sämtliche Positionen des Jupiter Asian Income Fund in Festland-China verkauft. Denn er schätzt die Rentabilität der Unternehmen im Vergleich zum Rest der Region als gering ein, und ist der Meinung, dass die Bewertungen in China angesichts einer langen Periode von regulatorischen Einschränkungen Abwertungen verdienen. Der Experte: „In jüngster Zeit bin ich zunehmend unzufrieden mit der innenpolitischen Entwicklung in China und den schlechter werdenden Beziehungen zu anderen Ländern, insbesondere zu den USA. Daher bewerte ich die Aussichten für die chinesische Wirtschaft weiterhin negativ.“ Hintergrund: Die Geheimdienste der USA und des Vereinigten Königreichs warnen zunehmend vor der Bedrohung, die China für den Westen darstellt. Es gibt bereits eine Liste von China-Aktien, in die US-Investoren nicht veranlagen dürfen. Da spielt natürlich das Säbelrasseln der Volksrepublik gegenüber Taiwan mit: Ein heißer Krieg ist nicht wahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen. Inflation: Hoffnungsschimmer Preishammer. Die extreme Teuerungswelle lässt Konsumenten stöhnen, es könnte aber (langfristig) Besserung in Sicht sein, wie mehrere Volkswirte annehmen. Zumindest wird kein Anstieg ins „Unendliche“ erwartet, sondern ein Einpendeln auf relativ hohem Niveau. So meint Dieter Wermuth, Economist und Partner bei Wermuth Asset Management: „Insgesamt sind die Inflationserwartungen trotz der rekordhohen aktuellen Inflation sehr niedrig. Ein wichtiger Indikator ist die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen, die nur 0,9 Prozent beträgt und in den letzten Monaten kräftig gesunken ist. Erfreulich auch, dass die Ölpreise von der Spitze um 20 Prozent zurückgekommen sind, Weizen um 30 Prozent. Die Lage entspannt sich also.“ Der Experte kann sich daher vorstellen, dass die EZB ihren Hauptrefinanzierungssatz bis zum ersten Quartal 2023 um insgesamt 100 Basispunkte auf 1,5 Prozent anheben wird, dann aber erst einmal abwarten will, was sich an der Inflationsfront tut. Ende 2023 dürfte die europäische Inflationsrate wieder unter drei Prozent liegen. Kalter Krieg 2.0: Konflikt ohne Sieger Kein Silberstreif. Die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen erinnert an vergangene Zeiten – an den Kalten Krieg. Verglichen mit den breiten ideologischen Konflikten, die im 20. Jahrhundert zwischen dem Ostblock und dem Westen bestanden, sind die Anfangsphasen des Kalten Kriegs 2.0 bisher gezielter und lokalisierter. „Wie es scheint, wird er jedoch voraussichtlich das Weltwirtschaftswachstum und die globale wirtschaftliche Zusammenarbeit mehr schädigen – und das praktisch ohne all die Silberstreifen am Horizont, die der erste Kalte Krieg durchaus bot“, analysiert Shoqat Bunglawala, Anlage-Spezialist bei Goldman Sachs. Bedenke man die wirtschaftlichen, politischen und humanitären Kosten für alle Seiten, werde es laut dem Experten beim Kalten Krieg 2.0 vermutlich keinen Sieger geben. In dieser Situation sollte der herkömmliche Fahrplan für Anlagen neu überdacht werden, um den erhöhten geopolitischen Risiken Rechnung zu tragen. Shoqat Bunglawala, Head of Multi-Asset Solutions bei Goldman Sachs Im Fokus: Healthcare Beste Gesundheit. „Im zweiten Quartal performte der HealthCare-Bereich des S&P 500 besser als der Gesamtindex – er ging um 5,9 Prozent zurück, während der S&P 500 ein Minus von 16,1 Prozent verzeichnete. In den letzten vier Quartalen stieg der Gesundheitssektor sogar um insgesamt 3,4 Prozent, während der Gesamtindex einen Rückgang von insgesamt 10,6 Prozent erfuhr“, zieht Mark Baribeau, Head of Global Equity bei Jennison Associates, Bilanz. Mit Blick auf den weiteren Jahresverlauf sei durchaus davon auszugehen, dass sowohl die Folgen von Covid-19 sowie die wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen wieder nachlassen werden. Damit könnte der HealthCare-Sektor wieder eine Vorreiterrolle einnehmen, „da die Anleger wieder verstärkt auf die soliden Fundamentaldaten der Unternehmen und die signifikanten Alpha-Chancen setzen, die sich aus der breiten Innovationskraft des Sektors ergeben“, so der Experte. Mark Baribeau, Head of Global Equity bei Jennison Associates September 2022 – GELD-MAGAZIN . 7

Hoffen auf einen Börsenfrühling Herr Dr. Schmieding, wenn Sie das erste Halbjahr an den Börsen Revue passieren lassen. Was war da los? In Summe war das erste Halbjahr unerwartet schwierig. Für einen guten Start sorgte zwar, dass wir die Welle der Pandemie relativ gut überstehen konnten und dass es Impffortschritte gab. Die Frühindikatoren für die Wirtschaft waren gerade in Europa zum Jahresbeginn oftmals auf Rekordständen. Es sah nach einem kräftigen Wachstumsschub aus. Und dann kam Putins Krieg. Ein großer Schock für die Welt und insbesondere für Europa. Mit einem Inflationsschub bei Energie und Nahrungsmittelpreisen, der natürlich auf die Notenbanken erheblichen Druck ausgeübt hat und immer noch ausübt, diese Inflation zu bekämpfen. Die Weltwirtschaft wurde und wird weiterhin durch die sehr hohen Preise in die Zange genommen, weshalb die Notenbanken jetzt ihre Zinspolitik stark straffen. Damit sieht es leider so aus, dass die Konjunktur in den kommenden Quartalen deutlich in die Knie gehen wird. Die Notenbanken haben nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder sie bekämpfen die Inflation oder die Rezession? Ja, und da die Inflationsbekämpfung ihre Hauptaufgabe ist, werden sie sich zunächst darauf konzentrieren und tatsächlich die Wirtschaft weiter schwächen – den Konsum durch höhere Zinsen zu reduzieren, um so schnelle Erfolge gegen die Inflation zu erreichen. Gerade in den USA plant die Notenbank offenbar ein relativ aggressives Vorgehen, was man dort auch halbwegs verstehen kann. Denn in den USA war die Konjunktur, anders als in Europa, im vergangenen Jahr tatsächlich heiß gelaufen – vor allem als Folge der großzügigen Stimulus-Schecks, womit die privaten Verbraucher in den USA mehr Geld zur Verfügung hatten als in den beiden Jahren der Pandemie 2020 und 2021. In den USA muss die Fed daher auf die Bremse treten. In der Eurozone denke ich sollte die EZB vorsichtiger vorgehen, denn sie ist für die derzeitige Inflation nicht verantwortlich. Was immer sie tut, wird nichts an den Erdgaspreisen ändern. Aber auch die Europäische Zentralbank muss sich darauf einrichten, dass dauerhafter Arbeitskräftemangel zu einem höheren Lohndruck führen wird, dass die Kosten der Energiewende dauerhaft auch bei den Verbrauchern ankommen werden und dass der Abgesang auf China als Billiganbieter auch auf Dauer zu etwas mehr Inflation führt. Und da passt es nicht in die Landschaft, bei uns Zinsen nahe Null zu haben. Was erwarteten Sie sich nun vom zweiten Halbjahr? Das zweite Halbjahr dieses Jahres wird schwierig, gerade für Europa. Wir bekommen noch einen deutlichen Anstieg der ErdDie Kapitalmärkte haben längst eine Rezession eingepreist, aber noch keine Gas-Rationierungen. Holger Schmieding von der Bank Berenberg rechnet nach dem hartenWinter wieder mit einem Börsenfrühling. JUL IA KISTNER Credits: beigestellt; jes2uphoto/stock.adobe.com gaspreise für private Verbraucher. Die sehr gute Sommersaison im Tourismus wird vielleicht noch im dritten Quartal dafür sorgen, dass uns gute Daten aus Spanien, Portugal, Griechenland, ein bisschen aus Italien, vielleicht auch aus Österreich bei der Konjunktur helfen. Nach dem Ende des Sommertourismus, denke ich, wird dann ab September oder Oktober der Rezessionsdruck kräftig zunehmen. Für die Eurozone erwarte ich im dritten Quartal einen deutlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung – und nach einem kleinen Rückgang im vierten Quartal dann noch einmal einen deutlichen Rückschlag Anfang nächsten Jahres. Es ist im Wesentlichen das Erdgasthema, das uns belastet. So könnte der Tiefpunkt der Wirtschaftsleistung im kommenden Frühjahr in der Eurozone zwei Prozentpunkte unter dem Niveau sein, das wir jetzt im zweiten Quartal dieses Jahres erreicht hatten. Sollte es bei den hohen Erdgaspreisen auch noch zu Rationierungen von Erdgas für die Industrie kommen, dann könnte es sein, dass die Rezession in der Eurozone auch 8 . GELD-MAGAZIN – September 2022 INTERVIEW . Holger Schmieding, Berenberg Bank

ZUR PERSON Dr. Holger Schmieding ist seit 2010 Chefvolkswirt der ältesten deutschen Privatbank Berenberg. Zuvor war er in London als Chefvolkswirt für Europa für Merrill Lynch, dann für Bank of America und anschließend für die Bank of America Merrill Lynch tätig. Er studierte Volkswirtschaft in München, London und Kiel, leitete unter anderem die Forschungsgruppe „Mittel- und Osteuropa“ am Kieler Institut für Weltwirtschaft und arbeitete als Volkswirt auch für den Internationalen Währungsfonds in Washington. Für die Treffsicherheit seiner deutschen Konjunkturprognosen wurde er mehrfach von der Financial Times ausgezeichnet. doppelt so scharf ausfällt als ich gerade genannt habe. Allerdings hoffen wir, dass nach der Winterrezession, wenn wir das Gas-Thema durch die Flüssiggasversorgung hinter uns haben, ab Frühjahr – oder spätestens ab Sommer – auch wieder ein spürbarer Aufschwung einsetzen kann. Hat die Börse eine Gas-Rationierung und eine tiefere Rezession schon eingepreist? Ich denke, dass die Rezession, die wir im kommenden Winter erwarten, in den Aktienkursen in etwa eingepreist ist. Das Risiko, dass es auch noch deutlich schlechter kommen könnte, ist nicht voll eingepreist. Sollte es also tatsächlich in Kürze zu einem vollständigen Gaslieferstopp aus Russland kommen, dann würde das die Gefahr erhöhen, dass es zu Rationierungen kommen muss. Das würde kurzzeitig ein weiteres nennenswertes Rückschlagpotenzial für Aktien bedeuten. Wobei Aktienmärkte typischerweise übertreiben. Wenn ich mich etwas zurücklehne und berücksichtige, dass wir vermutlich ab Frühjahr oder spätestens Sommer nächsten Jahres wieder einen deutlichen Aufschwung haben werden, dann würde ich sagen, sind auch die Aktienkurse, wie wir sie jetzt haben, fundamental gesehen eher deutlich zu niedrig als überhöht. Als langfristig orientierter Anleger sollte man daher Stück für Stück ein bisschen stärker in den Aktienmarkt gehen. Bisher folgte auf einen Bären- noch immer ein Bullenmarkt. Oder herrscht eine Ausnahmesituation? Ja. Zurzeit ist sehr viel gleichzeitig auf uns eingestürzt: die Pandemie, der russische Angriff auf die Ukraine, der Konflikt China-Taiwan und die gegen den Klimawandel notwendige Energiewende. Hatten wir schon einmal eine vergleichbare Situation? Es gibt bis zu einem gewissen Grad Parallelen zu den 70er- und den frühen 80er-Jahren. Damals hatten wir eine lange Periode eines kräftigen Inflationsdrucks, mehrere Ölpreisschocks, eine längere Phase überhöhter Lohnabschlüsse. Geopolitisch war in den 70ern und 80ern der Konfliktherd vor allem der Mittlere Osten. Aber jetzt haben wir Konflikte, an denen die großen Atommächte beteiligt sind. Zum einen Russland und zum anderen bei Taiwan die Supermächte USA und China. Geopolitisch ist die Lage gerade aus europäischer Sicht heute brenzliger, während aus wirtschaftlicher Sicht und hinsichtlich der Inflation die Lage längst nicht so schwierig ist wie damals. Was sind derzeit die größten Herausforderungen für die Volkswirtschaften und Kapitalmärkte? Die wachsende Staatsverschuldung? Dr. Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei der Berenberg Bank Für mich ist die Verschuldung auf der Liste der Herausforderungen gar nicht so ganz weit oben. Was für mich ganz weit oben ist, ist aktuell natürlich die Geopolitik. Da kann man als Volkswirt nicht viel dazu sagen – außer, wenn es schief geht, dann trifft es uns wirklich hart. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist letztendlich wichtig: Wie groß ist die Leistungskraft einer Wirtschaft? Wie entwickelt sie sich und damit die künftigen Steuereinnahmen? Da ist es wichtig, dass wir Maßnahmen brauchen, die das Wachstum pro Kopf stärken. Dass wir populistischen, protektionistischen Versuchungen widerstehen, denn eine Abschottung der Märkte würde dauerhaft die Wirtschaftsleistung schwächen. Wir müssen natürlich auch die Energiewende so vollziehen, dass wir uns nicht gleichzeitig von einzelnen Energielieferanten abhängig machen – nicht wie in Deutschland, wo man aus der Atomenergie aussteigen will, dann aus der Kohle und letztlich völlig von russischem Gas abhängig ist. Eine weitere große Herausforderung ist die Demografie. Also, wie schaffen wir es, dass Leute bei uns gerne und generell auch länger arbeiten wollen. Und reicht unser Ausbildungssystem aus, damit auch Leute, die in der Schule hinterherhinken, anschließend im Berufsleben genug Qualifizierung erfahren, um ihr Potenzial ausschöpfen zu können, so dass wir letztlich mit den Staatsschulden und der demografischen Herausforderung fertig werden. www.berenberg.de September 2022 – GELD-MAGAZIN . 9

10 . GELD-MAGAZIN – September 2022 Der Großhandelspreis für Erdgas stieg allein in den letzten 12 Monaten am europäischen Spotmarkt (Natural Gas EU Dutch TTF) von 45,40 Euro auf derzeit 339,20 Euro/MWh (27. August). Das ist ein Preisanstieg um 647 Prozent! Ein Jahr zuvor – also Mitte 2020 – wurde Erdgas/MWh sogar noch um nur 6,70 Euro gehandelt. Bei den Haushalten kam der Preisanstieg bislang gedämpft an, für sie hat sich der Verbrauchspreis (inkl. Netzkosten) seit vergangenem Jahr laut Energiepreisagentur „erst“ um 72,1 Prozent verteuert. Aber das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Für den Herbst ist ein weiterer Anstieg beschlossene Sache. Gazprom stellte Mitte August die nächste Preiserhöhung um 60 Prozent in Aussicht (von 2.500 USD auf rund 4.000 USD pro 1.000 m3). Der Verbrauchspreis für Erdgas wird für österreichische Haushalte, um die bisherigen Preissteigerungen zu berücksichtigen, ab 1. September deutlich nach oben geschraubt – Wien Energie schickte bereits die Ankündigung aus. Der Preis/MWh wird auf 150,06 Euro (Erdgas OPTIMA) angehoben. Umgerechnet steigen die Kosten je durchschnittlichen Haushalt, der Heizung und Warmwasser mit Gas betreibt (rd. 11 MWh/Jahr) von knapp 60 Euro pro Monat im vergangenen Jahr ab September 2022 auf knapp 140 Euro pro Monat! Der Preis für den Bezug von Fernwärme soll im Herbst übrigens ähnlich stark – um 92 Prozent – angehoben werden, nachdem sie sich in den vergangenen 12 Monaten laut Energiepreisagentur bereits um 16,6 Prozent verteuert hat. Strom wird ebenfalls teurer Obwohl Österreich aufgrund der umfangreichen Wasser- und Windkraftwerke praktisch Selbstversorger bei Strom ist und im Gegensatz zu Erdgas den größten Teil des Verbrauchs durch die Inlandsproduktion abdecken kann, steigt aufgrund der Merit Order-Regel (siehe Grafik auf Seite 10) der Strompreis ebenfalls. Im Vergleich zum Vorjahr betrug die Preissteigerung bis Juni laut Austrian Power Grid mit rund 228 Euro/ MWh in etwa 208 Prozent. Ab 1. September wird der Preis lt. Schreiben von Wien Energie auf 363 Euro/kWh (Strom OPTIMA) angehoben. Da ein durchschnittlicher Haushalt in Österreich rund vier MWh Strom pro Jahr verbraucht, steigen die Kosten dafür auf 1.452 Euro bzw. 121 Euro pro Monat und liegen damit um rund 80 Euro höher als ein Jahr zuvor. Gepaart mit der Preissteigerung bei Gas summieren sich die Mehrkosten für den Bezug von Gas und Strom ab September auf rund 160 Euro pro Monat und Haushalt. Das heißt, die vierteljährliche Pauschale wird im Schnitt um etwa 450 Euro teurer. BRENNPUNKT . Energiekosten Jetzt wird‘s richtig teuer! Der Konflikt mit Russland trieb vor allem den Preis für Erdgas enorm nach oben. Auch die Kosten für Strombezug und Fernwärme klettern nun in lichte Höhen. In der Folge schlagen die hohen Energiekosten vehement auf die Preise aller Produkte durch. MARIO FRANZIN Credits: Gewessler: Parlamentsdirektion / PHOTO SIMONIS, Felbermayer: Wifo/Alexander Müller, BillionPhotos.com/stcok.adobe.com Der Preis für Erdgas ist seit Anfang 2020 im Großhandel um knapp 5000 Prozent von 6,70 auf 340 Euro pro MWh gestiegen, jener für Strom zieht entsprechend mit. Das belastet Haushalte, Industrie und Gewebebetriebe enorm und drückt sich unmittelbar in einer stark steigenden Inflation aus.

September 2022 – GELD-MAGAZIN . 11 „Ich halte ein preisgestütztes Grundkontingent für den Energiebezug für durchaus sinnvoll.“ Gabriel Felbermayer, Chef des Wifo „Im Ernstfall kommt ein harter Winter auf uns zu.“ Leonore Gewessler, Energieministerin EU-GROSSHANDELSPREIS FÜR ERDGAS Aufgrund einer ungünstigen Angebots-/Nachfrage-Situation (Reduzierung der Liefermenge aus Russland) schnellte der EU-Gas-Spotpreis je MWh auf knapp 350 Euro. Anfang 2020 kostete die gleiche Menge noch rund 6,70 Euro! Inflation wird in die Höhe getrieben Energie wird nicht nur zum Heizen, Kühlen und Beleuchten der Haushalte verwendet, in jedem industriellen Prozess ist sie eine unabdingbare Voraussetzung zur Güterproduktion. Damit schlagen die Energiekostensteigerungen praktisch auf alle anderen Preise durch. Ein banales Beispiel: Der Anteil an Energie bei der Herstellung von Brot macht rund 30 Prozent der Kosten aus (das Mehl übrigens nur rd. 7 Prozent). Das heißt, bei einer Verdreifachung der Energiepreise, wie es derzeit der Fall ist, muss der Brotpreis alleine deshalb um 60 Prozent angehoben werden. Dabei sind ein Anstieg der Preise, z.B. bei Weizen, der auch einen Energieanteil für Aussaat, Ernte und Transport beinhaltet, ein indexierter Mietanstieg oder Lohnsteigerungen noch gar nicht berücksichtigt. An diesem Beispiel wird klar, dass sich insbesondere höhere Energiekosten im Produktionsprozess regelrecht potenzieren. Deshalb ist die Inflation (VPI) in Österreich im Juli von 8,7 Proweiter auf 9,3 Prozent gestiegen. Der Warenkorb für den wöchentlichen Einkauf, der sogenannte Mikrowarenkorb, der den Bedarf an Lebensmitteln, Treibstoff sowie einen Kaffeehaus- und einen Restaurantbesuch abbildet, hat sich in Österreich im Juli gar um 19,1 Prozent verteuert! Und billiger wird es in den kommenden Monaten nicht werden. Ökonomen erwarten einen Rückgang der Teuerung erst im zweiten Halbjahr 2023, davor könnte sie durchaus noch zweistellig werden. Als Vorbote wird der Anstieg der Erzeugerpreise gesehen, die in Österreich in Jahresfrist um 21 Prozent, in Deutschland sogar um 37 Prozent gestiegen sind. Energiepreise schlagen überall durch Ein Faktum sind auch Preissteigerungen aufgrund indexierter Verträge – wie Wohnungsmieten zum Beispiel. Obwohl die Mieten (exkl. der Betriebskosten) keinen Anteil an Energiekosten beinhalten, werden sie aufgrund ihrer Indexierung – also Koppelung an den Verbraucherpreisindex – entsprechend angehoben. Daher kommen auf die Haushalte satte Mietpreissteigerungen zu. Zuletzt wurden sie mit 1. April um 5,85 Prozent (Richtwert) bzw. um 5,56 (Kategoriewert) angehoben. Oder auch Versicherungsprämien sind inflationsgebunden, die zukünftig um 7,8 Prozent höher verrechnet werden. Weitere Beispiele sind die jüngst bekannt gegebenen Preiserhöhungen für Wasserbezug und Müllabfuhr – die Betriebskostenabrechnung lässt grüßen. Als quasi Nebenschauplatz in der Haushaltsrechnung steigen bei verschuldeten Personen auch die Kreditraten durch die Zinsanhebungen der EZB – zumindest bei den etwa 70 Prozent an variabel verzinsten Ausleihungen. In Österreich sind laut OeNB derzeit 189,3 Milliarden Euro an Privatkrediten offen – d.s. im Schnitt 47.300 Euro/Haushalt. Die monatlichen Raten werden im Einzelfall durchaus um einen gut dreistelligen Eurobetrag steigen. Vergleicht man nun die Summe der enormen Kostenanstiege bei den Haushalten mit dem derzeit durchschnittlich frei verfügbaren Einkommen (lt. OeNB rd. 510 Euro pro Monat), muss man zwangsläufig einen Rückgang des Konsums erwarten. Die BIP-Prognosen werden laufend nach unten revidiert, im Winter scheint eine Rezession unausweichlich. Eingeschränkte Gas-Lieferungen Hintergrund der Energiekrise ist der Krieg in der Ukraine bzw. streng genommen die Reaktion der EU darauf. Um den Aggressor Russland wirtschaftlich zu schwächen, wurde im März die gerade fertiggestellte Pipeline Nord Stream 2 keine BetriebserlaubÖSTERREICHISCHER STROMPREISINDEX Der Österreichische Strompreisindex (ÖSPI) stieg alleine im August 2022 gegenüber dem Vormonat um 12,8 Prozent. Im Vergleich zum August des Vorjahres liegt der ÖSPI um 247 Prozent höher. Quelle: marketscreener.com/EEX Quelle: Österreichische Energieagentur 2020 2021 2022 0 50 100 150 200 250 350 300 EUR/MWh 2020 2021 2022 0 50 100 150 200 250 250 250 400 Punkte

12 . GELD-MAGAZIN – September 2022 nis erteilt. Die höhere Nachfrage nach Energie nach der Corona-Pandemie traf nun ab März 2022 zusätzlich auf ein verknapptes Angebot aus Russland – über einige EU-Länder wurde überhaupt ein Lieferstopp verhängt. Die Liefermenge via Nord Stream 1 wurde seit Juni auf rund 20 Prozent der Transportkapazität reduziert (auf täglich etwa 33 Millionen Kubikmeter oder 413 GWh). Gleichzeitig waren die Vorräte nach dem Winter knapp. Am Spotmarkt für Erdgas (Dutch TTF Natural Gas) wird der Preis nach Angebot und Nachfrage festgesetzt. Erdgas, das über Pipelines geliefert wird, kann nicht rasch durch andere Quellen substituiert werden, und so zahlen wir kurioserweise durch die Preissteigerung für stark reduzierte Gaslieferungen nun deutlich mehr als für 100 Prozent vor einem Jahr. Speicherbefüllung hat Priorität In Österreich liegt der Jahresverbrauch an Gas bei rund 98,1 TWh, alle Speicher hierzulande fassen laut E-Control rund 95,5 TWh, stehen aber nicht alleine Österreich zu. Derzeit (27. August) wurde eine Befüllung aller Gasspeicher in Österreich von durchschnittlich 61,4 Prozent gemeldet. Energieministerin Eleonore Gewessler ist noch zuversichtlich, dass der angestrebte Befüllungsstand von 80 Prozent bis November erreichbar sei. Im Befüllungsziel inkludiert ist eine seit Mai zugekaufte staatliche Strategische Reserve in der Höhe von 20 TWh, die ab 1. November zur Verfügung stehen soll. Erst im Juli wurden von der Regierung die restlichen 12,3 TWh um drei Milliarden Euro gekauft (~244 Euro /MWh), die ab August nach und nach in den Gasspeicher Haidach eingebracht werden sollen. Vorausgesetzt, die Befüllung gelingt, würde die Strategische Reserve den Gasverbrauch der österreichischen Endkunden von rund zwei Wintermonaten abdecken (in den sechs Wintermonaten Oktober 2021 bis März 2022 lag der Gesamtverbrauch an Erdgas in Österreich bei 65 TWh). Man kann es drehen und wenden, wie man will, die Versorgungssicherheit bei Erdgas hängt noch immer von der weiteren Lieferung Russlands ab, auch wenn alternative Lieferanten – wie z.B. Norwegen, die Arabischen Emirate und die USA (via LNG) – teilweise einspringen können. Deshalb geht die große Angst um, dass es nach einem möglichen Erdgas-Lieferstopp zu Rationierungen von Lieferungen an die Industrie kommen könnte (Energielenkungsfall, siehe Kasten rechts). „Niemand von uns ist blauäugig“, meint Gewessler, „im Ernstfall kommt ein harter Winter auf uns zu.“ Für diesen Fall hat Agenda Austria drei Szenarien entworfen: In der pessimistischen Annahme würde Österreich den Anteil russischen Gases nur zu fünf Prozent ersetzen können und die Bevölkerung würde nichts einsparen. Dann droht uns ein BIP-Rückgang um gut fünf Prozent und etwa 90.000 Arbeitsplätze wären gefährdet. Im optimistischen Szenario – Ersatzmöglichkeit von rund zwei Drittel des Gasbezuges und Einsparung von knapp 20 Prozent durch die Bevölkerung – würde sich der BIPRückgang auf 2,6 Prozent beschränken und die Anzahl der gefährdeten Arbeitsplätze auf 45.000. Übergewinne abschöpfen? Nun wurde der Strom in Österreich im Winter 2021/22 (38 TWh) laut E-Control zu 45 Prozent durch Wasserkraftanlagen, zu 35 Prozent durch Wärmekraftwerke und zu 13 Prozent aus Windkraftanlagen generiert. Der größte Stromproduzent ist die Verbund AG, Das Merit-Order-Prinzip besagt, dass die Grenzkosten jenes Kraftwerkes den Strompreis bestimmen, das zur Bedienung des Strombedarfes noch zugeschaltet werden muss. Daher hat auf den Strompreis auch der Gesamtstrombedarf einen großen Einfluss. Das Merit-Order-Prinzip im europäischen Stromhandel Quelle: Statista/IWF „Im Juni war der Österreichische Strompreisindex drei Mal so hoch wie im Vorjahr. Der Österreichische Gaspreisindex lag im Jahresvergleich sogar um ganze 424 Prozent höher.“ Franz Angerer, Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur BRENNPUNKT . Energiekosten Credits: Österreichische Energieagentur

September 2022 – GELD-MAGAZIN . 13 die aufgrund der umfangreichen Wasserkraftwerke kaum Kostensteigerungen hat und dennoch die Strompreise aufgrund der Merit-Order-Regel (siehe Grafik links unten) kräftig anhebt bzw. angehoben hat. Auch wenn die Preissteigerungen verwerflich wirken, hat die Merit-Oder-Regel ihren Sinn. Sie stellt sicher, dass nicht alle zum günstigsten Stromanbieter wechseln, der die entsprechende Produktionsleistung nicht aufbringen könnte. Bei Versorgern, die Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugen – z.B. dem Verbund – oder auch bei der Öl- und Gasförderung bzw. -weiterverarbeitung (z.B. OMV) fallen damit hohe sogenannte „Übergewinne“ (windfall profits) an. So wird heuer, wenn wir beim Beispiel Verbund bleiben, ein Nettogewinn von etwa zwei Milliarden Euro erwartet anstatt der „üblichen“ rund 560 Millionen Euro (Durchschnitt von 2017 bis 2021). Ähnlich rechnet sich das bei den übrigen Stromproduzenten aus Alternativen Energien wie Windpark- oder Solaranlagenbetreibern. Aber auch die Ölmultis BP, Chevron oder Exxon vervielfachten ihren Gewinn, ebenso wie die heimische OMV. Während die EU bereits im März die rechtlichen Grundlagen für eine Übergewinnsteuer geschaffen hat und diese auch in einigen Ländern bereits beschlossen wurde, wird in Österreich noch darüber gestritten. Spanien hat bereits Nägel mit Köpfen gemacht und will daraus in den kommenden zwei Jahren rund sieben Milliarden Euro mehr einnehmen und für Sozialausgaben verwenden, in Belgien und Italien ist sie bereits beschlossene Sache. Förderungen durch den Staat Um die z.T. dramatischen Auswirkungen der Preisanstiege abzufedern – ein Drittel aller Haushalte (1,4 Mio.) kann mittlerweile seine Lebenserhaltungskosten nicht mehr decken –, brachte die Österreichische Bundesregierung im April und im Juni Anti-TeuerungsPakete auf den Weg. Sie betreffen neben der Abschaffung der Kalten Progression Energiekostenzuschüsse (150 Euro/Haushalt; für Unternehmen kostenabhängig) und einen „Klima-Bonus“ von 250 Euro sowie einen Teuerungsausgleich in der Höhe von 250 Euro für alle. Ende August wurde angesichts der brisanten Situation beschlossen, den Klima- und Antiteuerungsbonus von insgesamt 500 Euro an alle Erwachsenen noch im September auszubezahlen. Österreicher unter 18 Jahren erhalten 250 Euro. Das Geld wird automatisch aufs Konto überwiesen, sofern die Daten beim Finanzamt oder der Pensionsversicherung hinterlegt sind, andernfalls erhalten die Menschen via eingeschriebenen Brief einen Gutschein, der in Geschäften oder auch bei der Bank eingelöst werden kann. Ebenso wird eine zusätzlich Familienbeihilfe in der Höhe von 180 Euro ausbezahlt und nicht zuletzt wurde die ursprünglich geplante Einführung der CO2-Abgabe von Juli auf Oktober verschoben. Weniger als Förderung gedacht, als vielmehr zur Sicherung der Versorgung mit Erdgas, wird Unternehmen der Umstieg auf Alternative Energiequellen finanziert – also z.B. eine Umrüstung von Erdgas auf Erdöl. Selbst beim Verbund wird eine Umrüstung des Gaskraftwerkes Mellach auf den Brennstoff Kohle überlegt. Ein Gesetzesvorschlag zur Erstattung von derartigen Umrüstkosten (insgesamt bis zu 250 Mio. Euro) wurde jedoch Ende August im Parlament abgelehnt. Da Einmalzahlungen zur Unterstützung der Haushalte naturgemäß eine enden wollende Wirkung haben, schlug das Wifo in einem Arbeitspapier vor, jedem Haushalt eine bestimmte Höchstmenge an Energiebezug (Energiegrundkontingent) zu einem Fixpreis/ MWh zukommen zu lassen. Die Differenz zum aktuellen Marktpreis würde mit Steuergeld subventioniert. Über das Grundkontingent hinaus würde der normale Marktpreis zur Verrechnung kommen. Fazit Auch wenn die Aussicht auf eine Rezession im Winter wenig rosig erscheint, ist mit einer Art „natürlicher Korrektur“ zu rechnen. Aufgrund der horrenden Preissteigerungen wird – neben Energiesparmaßnahmen im kommunalen Bereich – auch bei Privaten deutlich Strom und Gas eingespart werden. Erreichen die Reduzierungen einen zweistelligen Prozentbereich, könnten wir trotz eines möglichen Lieferstopps durchaus ohne Rationierungen durch den Winter kommen. Energielenkungsfall Sollten die schlimmsten Befürchtungen eintreten und es zu einem Gaslieferstopp aus Russland kommen und eine unmittelbar drohende oder bereits eingetretene Störung der Erdgasversorgung entstehen, muss die Energieministerin tätig werden und mittels Verordnungen die Verteilung regeln. Neben Aufrufen an die Bevölkerung, Energie zu sparen, würden vermutlich nach wenigen Wochen bereits erste Abschaltungen in Teilen der Industrie erfolgen müssen. Priorisiert wird dabei nach dem Grad der Dringlichkeit, der Substituierbarkeit und den volkswirtschaftlichen Auswirkungen. Kurzarbeit und eine höhere Arbeitslosigkeit wären die Folge. Es käme zu zahlreichen Engpässen in Lieferketten. Haushalte und kritische Infrastruktur – wie Krankenhäuser und Stromversorgung – haben jedoch prinzipiell Vorrang. Über geplante Lenkungsmaßnahmen hat die Energieministerin den Energielenkungsbeirat zu informieren sowie den Hauptausschuss des Nationalrats damit zu befassen. (Verfassungsrechtlich gilt bei Eingriffen in Grundrechte das Verhältnismäßigkeitsprinzip, gelindere Mittel müssen ausgeschöpft werden.)

Wenn eine Privatperson oder ein Unternehmen zu hohe Schulden anhäuft, droht der Konkurs. Wenn ein Staat massiv in der Kreide steht, wird hingegen oft generös darüber hinweggesehen. In den vergangenen Jahren erfolgte das mit Hinweis auf die niedrigen Zinsen, die eine günstige „Verschuldungssituation“ ermöglichten. Die Zeiten haben sich allerdings dramatisch geändert: Corona und jetzt der Ukraine-Krieg haben zu ungeahnten staatlichen Unterstützungsmaßnahmen geführt, bei gleichzeitig steigenden Zinsen, was den Schuldendienst und somit die Budgets belastet. Wie beunruhigend ist die Konstellation? Keine Explosion Gerhard Winzer, Chefvolkswirt der Erste Asset Management, spricht frei von der Leber weg: „Weltweit geht der Trend bei der Staatsverschuldung weiter nach oben. Die Entwicklung ist nicht günstig, das bedeutet aber nicht, dass eine Schuldenkrise kommen wird!“ Er erklärt diese Einschätzung mit folgendem ökonomischen Prinzip: „Wenn die nominellen Zinsen unter dem nominellen Wirtschaftswachstum bleiben, verläuft die Dynamik nachhaltig. Soll heißen: Es kommt zu keiner Schulden-Explosion. Nur dann, wenn die Zinsen über dem Wachstum liegen, haben wir ein unmittelbares Problem.“ Diese Negativ-Konstellation sieht der Experte derzeit nicht: „Tatsächlich scheint so etwas wie eine Zinswende eingetreten zu sein, unser ,Most-Like-Szenario‘ geht aber nicht von rasant steigenden Zinsen aus. Denn es ist wahrscheinlich, dass sich die Inflation auf lange Sicht knapp über dem Ziel der EZB einpendeln wird.“ Was allerdings nicht bedeutet, dass alles eitel Wonne ist: „Dass die EZB im heurigen Juli mit dem Transmission Protection Instrument (TPI) ein neues ‚Werkzeug‘ erfunden hat, spricht dafür, dass die Schuldenproblematik von ihr sehr ernst genommen wird“, erläutert Winzer. Wunderwaffe TPI? Werfen wir einen genaueren Blick auf das TPI: Vereinfacht gesagt, ermächtigt es die EZB, gezielt und unbegrenzt Staatsanleihen einzelner Euro-Länder zu kaufen, wenn „Feuer am Dach ist“. Etwas formaler ausgedrückt: Das TPI kann aktiviert werden, um unerwünschter Volatilität in Bezug auf die Marktdynamik entgegenzuwirken. Das TPI wird sich hauptsächlich auf Wertpapiere des öffentlichen Sektors mit einer Restlaufzeit zwischen einem und zehn Jahren konzentrieren. André Figueira de Sousa, Fixed Income-Fondsmanager bei DPAM kommenSchulden über Schulden Corona, Ukraine-Krieg, massive Inflation: Schwere Krisen zwingen die europäischen Staatschefs zum Handeln. Das kostet enormes Geld und lässt den Schuldenstand explodieren. Wie lange kann das noch gutgehen? HARALD KOLERUS Credits: beigestellt, Archiv; fotomek/stock.adobe.com 14 . GELD-MAGAZIN – September 2022 In die Prognosen fließen die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs bisher nur begrenzt ein. Der Schuldenberg in der Eurozone könnte sich also noch um einiges erhöhen. Besonders die Situation in Italien sorgt unter Ökonomen für Kopfzerbrechen. Staaten greifen tief in die Tasche Quelle: Statista/IWF Prognose 50% 0% 100% 150% 200% 250% 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 ‘21 ‘22 ‘23 178,7% 148,7% 115,9% 112,9% 93,4% 67,7% Griechenland Italien Spanien Frankreich Eurozone Deutschland „Die Entwicklung ist nicht günstig, das bedeutet aber nicht, dass eine Schuldenkrise kommen wird!“ Gerhard Winzer, Chefvolkswirt Erste AM Management in Prozent des BIP BRENNPUNKT . Eurokrise 2.0

Die Lunte lodert: Notenbanken drucken ungeniert Geld. Die „Schulden-Bombe“ könnte vor allem in Italien detonieren. tiert: „Dieses Instrument stellt eine große Errungenschaft in einem so kurzen Zeitraum dar; es könnte jedoch schwierig sein, es auf der Grundlage der von der EZB selbst festgelegten Zulassungskriterien zum Einsatz zu bringen.“ Außerdem fragt sich der Experte, wieviel Volatilität die EZB benötigt, um das TPI zu aktivieren? Somit ist rund um das TIP noch nicht alles klar, Wunderwaffe ist es keine, es läuft aber unter dem bewährten Motto: Rettung der Euro-Zone „whatever it takes“. Das sorgt für – wichtige – psychologische Unterstützung. Außerdem würde die EZB wieder als eine Art „Lender of Last Resort“ agieren, also als Kreditgeber letzter Instanz. Und dass nachdem die Notenbanken des Euroraums zuvor die Zukäufe von Staatsanleihen vollständig eingestellt hatten. TPI könnte also als die neue Krisenfeuerwehr fungieren. Italien außer Kontrolle? Ob das notwendig wird, hängt nicht nur von den weiteren geopolitischen Entwicklungen, sondern auch von einzelnen EUMitgliedern ab. Hintergrund: Die EZB bereitet das Ende der Negativzinsen vor, an den Kapitalmärkten führte dieser geldpolitische Schwenk zu deutlich höheren Renditen. Christian Kopf, Leiter Rentenfondsmanagement bei Union Investment, kommentiert: „Zum sprunghaften Anstieg der Renditen italienischer Staatsanleihen kam es, nachdem EZB-Präsidentin Christine Lagarde am 9. Juni 2022 überraschend eine Verdoppelung des Tempos der Leitzinserhöhungen ab September in Aussicht gestellt hatte. Viele Marktteilnehmer befürchten, dass die Staatsverschuldung Italiens bei höheren EZB-Leitzinsen außer Kontrolle gerät.“ Das könnte wiederum zu einer Schuldenspirale führen, die den gesamten Euro-Raum in zusätzliche Turbulenzen bringen könnte. Kopf meint weiter: „Auf den ersten Blick erscheinen die Sorgen um die Solidität der Staatsfinanzen gerechtfertigt. Die Salden der Staatshaushalte im Euro-Raum sind klar ins Minus gerückt: Zu Beginn der Pandemie erzielten die Mitgliedsstaaten im Durchschnitt noch einen Haushaltsüberschuss Staatsschulden Österreichs: Fass ohne Boden Vor 30 Jahren lag die Verschuldung Österreichs noch unter 60 Prozent des BIP. Mittlerweile halten wir bei über 80 Prozent, Besserung ist keine in Sicht. Quelle: IWF in Prozent des BIP „Die Salden der Staatshaushalte im Euro-Raum sind klar ins Minus gerückt. “ Christian Kopf, Leiter Rentenfondsmanagement Union Investment 60% 70% 80% 90% 50% 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 September 2022 – GELD-MAGAZIN . 15

16 . GELD-MAGAZIN – September 2022 vor Zinszahlungen von einem knappen Prozent des BIP. Mittlerweile ist dieser sogenannte Primärsaldo, der für die Schuldentragfähigkeit von entscheidender Bedeutung ist, auf ein Defizit von durchschnittlich drei Prozent des BIP gestiegen. Mit durchschnittlich 95 Prozent des BIP liegt die Schuldenquote des Euroraums knapp zwölf Prozentpunkte über dem Wert von 2019. In Italien könnte die Staatsverschuldung dieses Jahr sogar 151 Prozent des BIP erreichen.“ Aber nicht nur Italien bereitet Sorgen: Auch in Griechenland, Spanien und Frankreich kracht es. Schuldenquote über 90 Prozent Generell ist die Verschuldung der Euro-Zone in den vergangenen 20 Jahren kräftig gestiegen, und zwar von 69,4 auf 93,4 Prozent, gerechnet als Anteil am BIP der EuroLänder. Frankreich weist dabei im vierten Quartal 2021 mit rund 2,81 Billionen Euro die höchste absolute Staatsverschuldung innerhalb der Europäischen Union auf. Italien liegt mit einer Staatsverschuldung von rund 2,68 Billionen dicht hinter Frankreich, weist aber eine wesentlich geringere Wirtschaftsleistung auf. Daten-Experte Matthias Janson analysiert auf statista.com: „Staatsschulden sind ein wichtiges Instrument der Finanzpolitik und ihre Erhöhung ist in der Krise richtig. Durch den gezielten Einsatz von Staatsschulden können Wirtschaft und die Einkommen gestützt und ein größerer wirtschaftlicher Einbruch vermieden werden. Gleichzeitig ist es wichtig, nach der Krise rechtzeitig wieder umzusteuern.“ Was uns zum Thema Reformen bringt, die nicht nur in „Problemländern“ anstehen. Dringend nötige Reformen Tatsächlich würde die gesamte EU laut Winzer von der Erste Asset Management dringend Strukturreformen benötigen: „Das Problem ist, dass es in der Union keine effiziente, vergemeinschaftete Fiskalpolitik gibt. Im Gegensatz zu den USA, wo Geld von wirtschaftlich stärkeren in schwächere Regionen transferiert wird. Die Schwächen der Fiskalpolitik müssen in der EU von der EZB ausgebügelt werden. Es herrscht also Handlungsbedarf, aber bekanntlich tun Strukturreformen weh. In der aktuellen Situation – Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, hohe Inflation – liegt die Chance für Reformen praktisch bei null. Regierungen schrecken davor zurück, populistischen Parteien noch zusätzliche Munition zu liefern.“ Fazit: Kein Kollaps Die Mehrheit der Experten hält die Situation zwar für ernst aber nicht unlösbar. Auch weil im Zuge der letzten Euro-Schuldenkrise neue Instrumente geschaffen wurden und Ökonomen, Politik sowie EZB jetzt besser vorbereitet sind. Vielleicht bereiten hohe Schulden wirklich weniger schlaflose Nächte als viele Arbeitslose, wie Bruno Kreisky meinte. Er ist ja als „Schuldenkanzler“ in die Geschichte, siehe unten, eingegangen. BRENNPUNKT . Eurokrise 2.0 Italien: Problem des Jahres? Es ist noch nicht lange her, da wurde Italien vom britischen „Economist“ zum Land des Jahres gekürt. Begründet wurde das mit stark steigenden BIP-Wachstumsraten und einem effizienten Krisenmanagement in der Pandemie. Wir schrieben damals das Jahr 2021, aber die Zeiten haben sich schnell geändert. Sehr schnell. Politisch instabil Heute ist Bella Italia nämlich wieder das „Problemkind“ der Euro-Zone. Denn der Schuldenberg wächst und die Rendite von Staatsanleihen hat ein besorgniserregendes Niveau erreicht. Die Tendenz zu steigenden Zinsen trägt vermehrt zur Brisanz der Situation bei. Simona Gambarini, Market Strategist bei Goldman Sachs, analysiert, dass das Land sein BIP-Wachstums-­ Potenzial durch Reformen und Investitionen deutlich erhöhen und die Situation entschärfen könnte: „Dafür ist aber Kontinuität in der Politik erforderlich“, so die Expertin. Gerade die fehlt allerdings in Italien, wo Rechtspopulisten an die Macht drängen. Einschneidende Reformen erscheinen illusorisch. RANKING DER SCHULDENMACHER BUNDESKANZLER NEUVERSCHULDUNG PRO AMTSJAHR SCHULDENENTWICKLUNG gemessen am BIP Werner Faymann (SPÖ) 93,3 Mrd.€ 12,53 Mrd.€ +15,8 % Franz Vranitzky (SPÖ) 71,2 Mrd.€ 6,70 Mrd.€ +18,0 % Sebastian Kurz (ÖVP) 53,8 Mrd.€ 13,30 Mrd.€ +9,0% Wolfgang Schüssel (ÖVP) 43,9 Mrd.€ 6,33 Mrd.€ +0,6 % Bruno Kreisky (SPÖ) 33,3 Mrd.€ 2,55 Mrd.€ +126,0 % Alfred Gusenbauer (SPÖ) 20,0 Mrd.€ 10,58 Mrd.€ +1,2 % Fred Sinowatz (SPÖ) 16,2 Mrd.€ 5,28 Mrd.€ +9,0% Viktor Klima (SPÖ) 12,2 Mrd.€ 4,05 Mrd.€ -1,3 % Brigitte Bierlein -2,2 Mrd.€ -3,76 Mrd.€ -1,8% Christian Kern (SPÖ) -3,5 Mrd.€ -2,17 Mrd.€ -5,5 % Quelle: staatsschulden.at

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