GELD-Magazin, Juli/August 2022
Offener Brief an Mario Draghi Sehr geehrter Herr Draghi, nachdem Sie in den vergangenen Monaten eine in- stabile italienische Regierung durch zahlreiche Kri- sen geführt haben, freuen Sie sich sicherlich auf die wohlverdienten Sommerferien. Bevor Sie und Ihr Team jedoch Ihren Urlaub antreten, bereitet die EZB die Bekanntgabe eines neuen Instruments vor, das sie auf ihrer nächsten Sitzung vorstellen möchte. Sie haben der EZB sicherlich mit warnender Stimme na- hegelegt, nicht zu kleckern, sondern zu klotzen (go big or go home), da nur ein umfassendes Kaufpro- gramm, vorzugsweise in unbegrenzter Höhe, ausrei- chen werde, die Sorgen der Anleger zu zerstreuen. Das von Ihnen als EZB-Präsident im August 2012 an- gekündigte OMT-Programm könnte funktionieren. Allerdings möchte sich keine Regierung den wirt- schaftlichen Anpassungen unterwerfen, die mit die- sem Programm einhergehen. Bereits vor Einführung des Euro waren Sie viele Jahre für das italienische Finanzministerium tätig. Sie wussten also um die heftige Konvergenz der Zinssätze vor Errichtung der europäischen Währungsunion im Jahr 1999. Anle- ger gingen im Vorfeld der Einführung des Euro „long“ in Staatsanleihen aus Italien und anderen eu- ropäischen Peripheriestaaten und profitierten vom Carry, dass diese gegenüber „langweiligen“ deut- schen Bundesanleihen abwarfen. Zu Anfang der Finanzkrise waren Sie Gouverneur der italienischen Notenbank. Es muss für Sie schmerzhaft gewesen sein, zu sehen, wie die Spreads italienischer Staatsanleihen auf Niveaus wie zuletzt 1995 stiegen. Ihnen und den Kolle- ginnen und Kollegen der EZB war klar, dass die Staatsschulden Italiens, die nach der Einführung des Euro weiterhin zu hoch waren, für das Land das größte Problem darstellten. Daher verfassten Sie ge- meinsam mit EZB-Präsident Trichet einen geheimen Brief an die italienische Regierung, der zum dama- ligen Zeitpunkt noch Silvio Berlusconi vorstand. Sie unterbreiteten dem Ministerpräsidenten den Vor- schlag, dass die EZB italienische Staatsanleihen kau- fen würde, jedoch nur unter der Bedingung, dass Italiens Regierung radikale und glaubwürdige Maß- nahmen zur Senkung der Staatsschulden ergreift. Wenige Monate später gingen Sie als neuer EZB- Chef nach Frankfurt und führten zahlreiche unge- wöhnliche geldpolitische Maßnahmen ein, die die Renditen italienischer Staatsanleihen für viele Jahre niedrig hielten. Viele dieser Informationen sind für Sie nichts Neues. Wenden wir uns daher nun den interessanten und schwierigen Fragen zu. Als Sie im Februar 2021 zum italienischen Ministerpräsidenten gewählt wurden, müssen Sie doch gewusst haben, dass die Ära gün- stiger Finanzierungsbedingungen irgendwann en- den würde. Was hat Ihre Regierung unternommen, um einen glaubhaften Langzeitplan zum Abbau der Schulden Italiens bereitzustellen? Haben Sie während Ihrer Zeit als EZB-Präsident die Regierungen der Peripheriestaaten dazu ermahnt, das Niedrigzinsumfeld zu nutzen, um ihre Schulden- tragfähigkeit zu verbessern? Haben Sie die Verantwortlichen darauf hingewiesen, dass der EU-Vertrag die Finanzierung von Staats- schulden ausdrücklich untersagt? Oder sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass die EZB ihre Kaufpro- gramme auf keinen Fall ewig fortsetzen kann? Wahrscheinlich lautet die Antwort auf diese Fragen „Nein“ oder „nicht ausreichend, um die italienische Regierung zum Handeln zu bewegen“. In meinen Augen sollte das neue Anti-Fragmentie- rungsinstrument der EZB an Konditionen geknüpft sein. Ohne entsprechende Konditionalitätsklausel fehlt zukünftigen Regierungen von Peripherie- staaten der Anreiz für Reformen. Liegt jedoch eine solche Klausel vor, verzichten Regierungen vorzugs- weise auf die Inanspruchnahme eines derartigen In- struments, und die Spreads werden sich weiter aus- weiten. Ich schlage deshalb vor, dass die EZB ihr neues Anti-Fragmentierungsinstrument mit einer entsprechenden Klausel ausstattet und sich Ihre Re- gierung unmittelbar zur Umsetzung der erforder- lichen Reformen verpflichtet. Anleger würden darin eine glaubhafte Lösung sehen. Mit freundlichen Grüßen Hendrik Tuch Hendrik Tuch, Head of Fixed Income NL, Aegon Asset Management KOMMENTAR . Hendrik Tuch, Aegon Asset Management Juli/August 2022 – GELD-MAGAZIN . 9 FOTO: beigestellt
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