GELD-Magazin, Juni 2022

10 . GELD-MAGAZIN – Juni 2022 Leistungen unterstützt, was deren Kampf- kraft gegen die russischen Aggressoren er- klärt. Ein direkter Eingriff in den Konflikt wird von den NATO-Partnerländern tun- lichst vermieden, denn dazu wiegt die Dro- hung Putins mit einem präventiven Atom- schlag zu schwer. Russland wird isoliert Was aber intensiv genützt wurde und wird, ist das Überziehen Russlands mit wirtschaft- lichen Sanktionen, um dessen Wirtschaft und damit seine Finanzierungskraft zu schwächen. Mit Beginn des Krieges wurden die meisten russischen Banken vom interna- tionalen Zahlungssystem SWIFT ausge- schlossen und ein Großteil der Devisenreser- ven der russischen Zentralbank blockiert, der Handel massiv eingeschränkt (inkl. Öl- und Gasboykott, s. Seite 10). Zudem wurden alle Vermögenswerte russischer Oligarchen eingefroren – alleine in der EU etwa zehn Milliarden Euro. Zahlreiche Staaten in der EU, die USA aber auch z.B. die Schweiz ar- beiten daran, die gesetzlichen Vorausset- zungen dafür zu schaffen, um die russischen Staats- und Oligarchenvermögen offiziell be- schlagnahmen zu können und mit deren Er- lös die Ukraine zu unterstützen, die alleine für die Aufrechterhaltung des Staatsappa- rates während des Krieges rund fünf Milliar- den Euro monatlich benötigt. Die Sachschä- den infolge des Krieges werden derzeit auf rund 500 Milliarden Euro geschätzt und dürften sich noch erheblich ausweiten. NATO erlebt Aufschwung Womit Putin nicht gerechnet hat, ist, dass der Westen durch den Konflikt so nahe zu- sammenrückt wie noch nie. Die NATO erlebt einen Aufschwung sondergleichen, riesige Militärbudgets werden aktuell beschlossen, Rüstungsfirmen jubeln – alleine Deutschland macht dafür 100 Milliarden Euro für einen Fünf-Jahres-Aufrüstungsplan locker, Schwe- den und Finnland entscheiden sich umge- hend für einen Beitritt zur NATO. Die Anträ- ge wurden nach parlamentarischen Blitzbe- schlüssen bereits Mitte Mai eingebracht. Die Ukraine selbst wird mit Waffen und moder- nem militärischem Gerät um zigmilliarden Dollar beliefert. Dafür beschloss die EU- Kommission, das entsprechende Budget auf zwei Milliarden Euro aufzustocken, weitere zehn Milliarden werden auf den Weg ge- bracht. US-Präsident Joe Biden boxt gerade ein Hilfspaket über 30 Milliarden US-Dollar durch den Kongress, nachdem bereits etwa 350 Millionen US-Dollar geflossen sind. Unglaubliche PR-Maschinerie Aufgrund der umfangreichen Medienerfah- rung Selenskyjs sowie den unermüdlichen Einsätzen von Außenminister Dmytro Kuleba und dem ukrainischen Botschafter in Deutsch- land, Andrij Melnyk, bleibt der Ukrainekrieg konstant in den Schlagzeilen. Zumal die Ar- gumentation während der praktisch tägli­ chen Ansprachen Selenskyjs per Videoschal- tung (in so gut wie jedes westliche Parla- ment, der UNO-Hauptversammlung bis hin zu den Filmfestspielen in Cannes) drastisch ausgedehnt wird. Es geht nicht nur um die legitimen Ansprüche der Ukraine auf ihr Staatsgebiet, sondern die Ukrainer verteidi- gen stellvertretend ganz Europa vor dem rus- sischen Aggressor und die westlichen Werte überhaupt. Damit werden alle demokrati- schen Regierungen umgehend in die Verant- wortung gezogen, was auch willfährig ange- nommen wird. Zudem werden reihenweise Politiker nach Kiew eingeladen, um sie unter Kamerabegleitung zwischen den Leichensä- cken in Butscha herumzuführen, was natür- lich blankes Entsetzen hervorruft. Die Ukraine schätzt, dass Russland den Krieg in der Ostukraine etwa 12 Monate mit der aktuellen Kampfkraft durchhalten kann und rechnet sich aus, etwa gegen Jahresende die Chance zu haben, selbst die Krim wieder zu- rückzuerobern. Als eher keine gute Idee stuft dies Ex-Außenminister Henry Kissinger beim jüngsten Wirtschaftsforum in Davos ein. Er schlug der Ukraine hingegen vor, zugunsten Russlands auf die Krim zu verzichten. Allge- mein setzt sich die Befürchtung durch, dass ein Frieden ohne Gebietsverluste nicht mög- lich sein wird. Selenskyj ist hier nicht kom- promissbereit, da er fürchtet, Russland bei seinem imperialistischen Feldzug in die Hän- de zu spielen. Damit ist zu befürchten, dass sich der Krieg noch Monate hinziehen wird. Ukraine: Eine lebhafte Geschichte Das ukrainische ethnografische Terri- torium wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vom russischen Reich annektiert und erlebte nur von 1917 bis 1920 nach dem Zusammenbruch des zaristischen Russlands eine kur- ze Periode der Unabhängigkeit. 1920 wurde die Ukraine von Stalins Russland wieder zurückerobert und erlitt eine brutale sowjetische Herrschaft mit zwei erzwungenen Hungersnöten (1921-22 und 1932-33), in denen über acht Mil- lionen Einwohner starben. Im Zweiten Weltkrieg waren deutsche und sowje- tische Armeen für weitere sieben bis acht Millionen Tote verantwortlich. 1991 erlangte die Ukraine mit der Auflösung der Sowjetunion offiziell zwar ihre völ- kerrechtliche Unabhängigkeit, wurde jedoch bis Februar 2014 von russland- treuen Präsidenten – zuletzt Wiktor Janukowytsch – regiert. Seither wird sie durch Neuwahlen nach dem Euromai- dan zwar parlamentarisch jedoch unter dem starken Einfluss von Oligarchen re- giert, die jeweils mehrere Abgeordnete im Parlament kontrollieren. Korruption ist auch das große Manko der Ukraine. Sie rangiert im Korruptionswahrneh- mungsindex 2021 von Transparency In- ternational auf Platz 122 von 180. BRENNPUNKT . Ukraine-Krieg

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