GELD-Magazin, April 2022
EINSCHALTUNG – FOTO: beigestellt Langfristig positive Signale aus den Schwellenländern Der Krieg in der Ukraine zeigt die wechselweise Abhängigkeit der Volkswirtschaften in einer globalisierten Welt auf. Doch die Prognosen für die Schwellenländer sind durchaus positiv. Wie beurteilen Sie mittel- bis langfristig die Ent- wicklungen in Osteuropa sowie das tatsächliche Gefahrenpotenzial des aktuellen Krieges in der Ukraine? Wenn wir die aktuelle Situation in Osteuropa be- trachten, so müssen wir zuallererst die humanitäre Katastrophe in der Ukraine respektvoll betrachten und rasch nach Hilfsmöglichkeiten für die Betrof- fenen suchen, was ja bereits geschieht. Generell heißt es, dass der Krieg nur Verlierer kenne, doch denke ich, dass Länder wie etwa Polen und Ungarn mittelfristig von der aktuellen Entwicklung profitie- ren werden, da viele der Vertriebenen in den ge- nannten Ländern als Arbeitskräfte eingesetzt wer- den können und so zu dem wirtschaftlichen Auf- schwung in diesen Ländern, die zudem noch Extra- Förderungen von der EU erhalten werden, beitragen. Die Ukraine wird nach dem Krieg ein Fall für ein „Recovery Program“ sein, so wie wir es aus dem Eur- opa der Nachkriegszeit her kennen. Der große Ver- lierer wird Russland sein. In Bezug auf den Energie- sektor bin ich überzeugt, dass Panikmache fehl am Platz ist, denn die Gasdepots vieler Länder in Euro- pa sind bis zum Sommer hin gut gefüllt und darüber hinaus sind viele Länder nicht ausschließlich von Gaslieferungen aus Russland abhängig. Frontier Markets sind eine relevante Veranla- gungsregion für abrdn, die aktuell von vielen An- legern gemieden wird. Wo liegen die Potenziale und Chancen dieser Märkte? Langfristig betrachtet, haben diese Märkte sehr großes Potenzial. Die Spreads bei Staatsanleihen vieler Länder der Frontier Markets haben sich seit 2020 verdoppelt. Die Ausfallsquote setzen wir – wenn überhaupt – sehr niedrig an, speziell für kurz- laufende Bonds ist die Situation günstig. Davon ab- gesehen, sind Schwellenländeranleihen trotz des Russland-Konflikts über einen Zeitraum von zehn Jahren gesehen sehr attraktiv. Euro-Bonds sind für uns aktuell auf jeden Fall mal kein Thema. Wir ha- ben unsere Positionen in Georgien und Armenien aufgestockt, da in diesen Ländern ein starker Abver- kauf verzeichnet wurde, der weit über das hinaus- ging, was durch ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland oder das Risiko einer Ausweitung des militärischen Konflikts – das wir sehr gering einstu- fen – auf diese Länder zu rechtfertigen wäre. Bei den Rohstoffen bevorzugen wir Nigeria und Angola, wo wir im Rahmen unserer Frontier-Strategie ein hohes Überzeugungsengagement haben. Welches Verhalten raten Sie Anlegern im Krisen- jahr 2022? Worauf sollten sie besonders achten? Ich sehe 2022 in keiner Weise als „Krisenjahr“, viel- mehr ist es ein Jahr, in dem der Anleger die Chance bekommt, zu günstigen Preisen Assets zu kaufen, die in der Folge attraktive Renditen einbringen wer- den. In der Recovery-Phase werden die Zinsen stei- gen, eine Entwicklung, die sich positiv auf die Anlei- henmärkte auswirken wird. Steigende Zinsen sind für die Anleihemärkte im Allgemeinen ungünstig, stellen aber für die Frontier-Märkte, wo die Anleihen in der Regel eine kürzere Laufzeit haben, ein gerin- geres Risiko dar. Auch was die Aktenrenditen be- trifft, bleiben unsere Gewinnerwartungen trotz ei- ner deutlichen Verlangsamung der Wachstumsrate robust. Ähnlich sind unsere Einschätzungen, die In- flation betreffend, durchaus entspannt. Schon für 2023 sehen wir eine Abflachung der Kurve und ei- nen Inflationsrückgang. Es ist nicht wegzuleugnen, 2022 wird uns allen noch geringeres Wirtschafts- wachstum und höhere Inflation bescheren, doch die nächste Phase der Expansion wird eine signifikante Umstellung von der globalen Güternachfrage auf Dienstleistungen zur Folge haben, die zu einer er- heblichen Belebung der Wirtschaft beitragen wird. www.abrdn.com Viktor Szabó, Invest- ment Director im Team Emerging Markets, abrdn April 2022 – GELD-MAGAZIN . 17 EXPERTSTALK . Viktor E. Szabó, abrdn
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