GELD-Magazin, Oktober 2021

„Das Recht auf Nahrung wird in vielen Regionen der Welt leider nicht umgesetzt.“ Lukas Schmidt, Geschäftsleiter FIAN Österreich 14 . GELD-MAGAZIN – Oktober 2021 Beitrag zu Tier- und Klimaschutz geleistet.“ Bernhard Tröster, Experte für Weltwirt- schaft und Entwicklung bei ÖFSE (Österrei- chische Forschungsstiftung für Internationa- le Entwicklung), greift einen weiteren As- pekt auf. Er beobachtet einen Trend zur so- genannten „Finanzialisierung“. Tröster er- klärt: „Das bedeutet, dass die Stellung von reinen Finanzinvestoren seit den 2000er Jahren an den Rohstoffmärkten immer wichtiger geworden ist, eine Tendenz, die weiter anhält. Soll heißen: Das Verhältnis zwischen ,Commercial Traders‘, also Händ- lern, die ihre Positionen durch Derivate absi- chern, und puren Finanzinvestoren hat sich stark verändert. Die letztgenannte Gruppe spielt heute die dominierende Rolle.“ Umstrittener Einfluss Welche Auswirkung die Finanzialisierung auf die tatsächlichen Rohstoffpreise hat, wurde bisher von der Wissenschaft noch nicht eindeutig beantwortet. Im Wesent- lichen gibt es zwei Standpunkte: Der eine besagt, dass „Spekulationen“ keinen we- sentlichen Einfluss auf die Preisgestaltung haben, dominant sei dafür nach wie vor das Spiel von (physischem) Angebot und Nach- frage. Die andere Schule sieht wiederum deutliche Anzeichen für gestiegene Auswir- kungen der Finanzinvestitionen an der Bör- se auf Rohstoffpreise in unserem täglichen Leben. Tröster: „Für die zweite Betrach- tungsweise spricht, dass mitunter unter- schiedliche Rohstoffe wie Erdöl, Metalle oder Soft Commodities gleichzeitig fallen oder steigen. Sie laufen also auch paral- lel mit Aktienmärkten, was die Konzentrati- on auf Markttrends und Herdenverhalten signalisieren könnte. Spezifische Angebots- Nachfrage-Verhältnisse zu einzelnen Roh- stoffen könnten also eventuell nicht mehr so entscheidend sein wie allgemeine Markterwartungen, zum Beispiel zur Erho- lung der Weltwirtschaft. Unterm Strich meine ich: Man kann nicht sagen, dass die Aktivitäten von Finanzinvestoren für die tatsächlichen Rohstoffpreise unerheb- lich sind.“ Dass sich höhere Agrar-Rohstoff- preise auf Lebensmittel schnell durchschla- gen können, liegt dabei wiederum auf der Hand. Tröster fordert jedenfalls eine breite- re Diskussion zur Thematik und zum Ver- ständnis der Mechanismen an den Roh- stoffmärkten, wie es sie etwa in den 1970ern und bis in die 80er Jahre gegeben hat. Um extreme Preisschwankungen zu verhindern, sollten mögliche Regulierungs- maßnahmen an den Rohstoffbörsen analy- siert werden: „Zum Beispiel könnten Posi- tions-Limits eingeführt werden, damit ein- zelne Investoren-Gruppen keine Über- macht gewinnen“, meint Tröster. Es gibt aber auch die Möglichkeit, den physischen Markt für wichtige Lebensmittel zu stabili- sieren, etwa die Lagerhaltung besser zu or- ganisieren und Reserven für Krisensituati- onen anzulegen. Der ÖFSE-Experte kom- mentiert: „Allerdings ist das teuer, und vor allem afrikanische Staaten südlich der Sa- hara verfügen nicht über die notwendigen finanziellen Mittel dafür. Deshalb ist hier überregionale bzw. internationale Koopera- tion sinnvoll. Was auch den globalen Nor- den miteinschließen muss.“ Fazit: Ruf nachVeränderung Die Lebensmittelpreise werden zumindest heuer und nächstes Jahr anziehen. Das ist schmerzlich, aber für Wohlfahrtsstaaten verkraftbar. Entwicklungsländer leiden am meisten, neben kurzfristiger Hilfe sind glo- bale Systemänderungen nötig. BRENNPUNKT . Nahrungsmittel und Inflation Credit: beigestellt Internationale Preise für Agrarwaren, Nahrungs- und Genussmittel steigen Der Trend ist eindeutig: Die Preise für Agrar-Rohstoffe ziehen nach Überwindung des Corona- Schocks an, damit werden auch Nahrungs- und Genussmittel teurer. Quelle: Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut Nahrung-Genussmittel Getreide Ölsaaten, Öle Genussmittel 170 160 150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30 2015 = 100 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021