GELD-Magazin, Mai 2021

M it der Ausarbeitung eines Ergeb- nisberichts durch die Task-Force Pflege wurde im Februar der erste Schritt der Pflegereform in Österreich bewältigt. Man hat darin 17 Ziele und 64 Maßnahmenpakete zur Weiterentwicklung und Zukunftssicherung des Pflege- und Be- treuungssystems formuliert. Als nächster Schritt ist eine Zielsteuerung geplant, an der Bund, Länder und Gemeinden über die poli- tischen Entscheidungen verhandeln. Aber warum ist eine Reform des Pflegesys­ tems so wichtig? Dies liegt vor allem am de- mografischen Wandel. „In den nächsten 15 Jahren werden 1,9 Millionen Österreicher in Pension gehen, was auch eine Vervierfa- chung der Zahlen der Über-80-Jährigen mit sich bringen wird, von denen wiederum sehr viele pflegebedürftig sein werden“, erklärt Sozialwissenschaftler Prof. Bernd Marin die Dringlichkeit des Pflegethemas. „Der Wandel wirkt von mehreren Seiten gleichzeitig, und zwar in die von uns ungewünschte Rich- tung“, ergänzt Monika Riedel, Forscherin im Bereich Pflege beim IHS. Es werden nämlich nicht nur die Pflegebedürftigen älter, son- dern auch das Personal. Hinzu kommt, dass die Pflegebedürftigen immer weniger Kinder haben und diese aufgrund der verstärkten Mobilität noch weiter weg von den zu Pfle- genden wohnen. Umso mehr fordert die For- scherin, das Problem Personal im Bereich Pflege und Betreuung ernsthaft anzugehen. Personalengpass Der Alterungsprozess der Bevölkerung führt bereits jetzt zu Engpässen im Pflegebereich und einem Pflegepersonalmangel. Daher ist auch die Personalgewinnung für viele Pfle- geexperten das dringendste Problem. Das WIFO rechnet bis 2030 mit einem zusätz- lichen Bedarf an rund 24.000 Pflegekräften und bis 2050 mit 79.000 zusätzlichen benö- tigten Pflegekräften. Die Volksanwaltschaft macht schon jetzt auf den Personalmangel aufmerksam, der nicht nur zu Unzufrieden- heit führt, sondern auch zu Menschen- rechtsverletzungen. „Das Pflegepersonal tut sein Bestes, aber die strukturellen und wirt- schaftlichen Rahmenbedingungen machen die Umsetzung von Konzepten der ganzheit- lichen, aktivierenden und integrierten Pfle- ge und Betreuung schwierig bis unmöglich“, heißt es bei der Volksanwaltschaft. Während es Übereinstimmung darüber gibt, dass der Personalmangel dringend beseitigt werden muss, herrschen über die Vorgangs- weise unterschiedliche Auffassungen, wie das Beispiel Pflegelehre zeigt. Die Bruchli- nie ist hier offensichtlich eine ideologische. So fordern die Wirtschaftskammer und das ÖVP-nahe Hilfswerk eine Pflegelehre. Die SPÖ-nahe Volkshilfe, die Arbeiterkammer und die Gewerkschaft (Österreichischer Ge- sundheits- und Krankenpflegeverband) sind der Lehre gegenüber zumindest skeptisch. Der ÖGKV fürchtet dabei, dass die Pflege- lehre der Attraktivität und dem Image des Berufs schaden könnte. Das Hilfswerk for- dert hingegen vielfältige Zugänge zum Pfle- geberuf und daher auch die Pflegelehre, um an noch mehr Jugendliche heranzukommen, denn mit der aktuellen Anzahl an Absol- venten könne der prognostizierte Bedarf nicht gedeckt werden. Unerwünschte Effekte Ein weiteres Ziel der Regierung heißt „am- bulant vor stationär“, um mobile Dienste als wesentlich günstigere Variante der Pflege zu stärken. „Jedoch steuert man derzeit genau in die andere Richtung“, so Elisabeth An- VERSICHERUNG . Pflegeversicherung Die Situation spitzt sich zu Im Februar hat die Taskforce Pflege der Regierung einen Katalog von Maßnahmen für eine Pflegereform präsentiert. Nun ist die Politik am Zug. So gehören bundesweite Mindeststandards eingeführt. CHRISTIAN SEC Daten und Fakten In Österreich bezogen Ende 2019 467.752 Personen ein Pf legegeld. Die Zahl der pf legenden Angehöri- gen beträgt derzeit rund 950.000 Per- sonen. Im Jahr 2019 wurden insge- samt 153.152 Personen durch mobile Dienste zu Hause betreut. 96.458 Men- schen waren – ebenfalls mit Unterstüt- zung der Sozialhilfe oder Mindestsi- cherung – in stationären Einrichtungen untergebracht. Mehr als zwei Drittel der betreuten Personen waren Frauen. 73 Prozent der Pf legebedürftigen in den stat ionären Einr ichtungen sind Personen ab Pf legestufe 4, während von den zu Hause durch mobile Dien- ste betreuten Personen nur 32 Prozent ein Pflegegeld ab der Stufe 4 bezogen. Credits: beigestellt; Halfpoint/stock.adobe.com 62 . GELD-MAGAZIN – Mai 2021 „In den nächsten 15 Jahren werden 1,9 Millionen Österreicher in Pension gehen, die Anzahl der Über-80- Jährigen wird sich vervierfachen.“ Prof. Bernd Marin, österreichischer Sozialwissenschaftler

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