GELD-Magazin, Dezember 2020 / Jänner 2021

„Nicht polarisieren“ D ie Telefonleitung nach Kairo funk- tioniert einwandfrei, als das GELD-Magazin Karim El-Gawha- ry an seinem ORF-Standort erreicht. Von dort aus deckt er den arabischen Raum ab, er kommt bei seiner Berichterstattung aber auch schon einmal der Front des sogenann- ten Islamischen Staates auf wenige Kilome- ter nahe. „Dabei bin ich überhaupt kein Draufgänger und überlege mir genau, wo ich hingehe und wohin nicht“, so der Repor- ter. Sein Einsatz in der unruhigen Region hat ihm jedenfalls schon mehrere Auszeich- nungen eingebracht, so wurde er 2012 zum Auslandsjournalisten des Jahres gewählt. Eine seine Botschaften lautet, Arabien nicht schwarz-weiß zu sehen. Die erschütternde Terrorattacke von Wien drängt auch die Frage auf, warum sich junge Europäer in Syrien dem soge- nannten „Islamischen Staat“ (IS) an- schließen wollen? Wenn das nicht funkti- oniert, wird ein Blutbad unter Unschul- digen angerichtet. Woher kommt dieser unglaubliche Hass? Das ist wirklich sehr schwer zu erklären. Ein Faktor ist, dass sich viele junge Muslime in Europa auf verlorenem Posten sehen. Wer später zum Terroristen wird, hatte zuvor auch schon oft in der kleinkrimminellen Szene Erfahrung gemacht. Viel wichtiger ist aber die Frage: Was will der IS eigentlich er- reichen? Er sagt selbst, dass er die Gesell- schaft spalten will. Das erfolgt anhand eines simplen schwarz-weiß- bzw. gut-böse- Schemas. Sollte Europa junge Muslime wirtschaftlich und gesellschaftlich ausgren- zen, hätte der IS sein Ziel erreicht. Europa darf nicht in diese Falle tappen! Die ver- nünftige Gegenstrategie lautet, der Polari- sierung entgegenzuwirken. Betrachten wir die internationalen Zu- sammenhänge: Vor rund zehn Jahren be- gann der sogenannte „Arabische Früh- ling“, den Sie in Ihrem jüngsten Buch „Repression und Rebellion“ ausführlich behandeln. Können Sie hier einen kurzen Einblick geben? Zunächst möchte ich anfügen, dass es nicht sinnvoll ist, die arabische Welt mit Koran- Zitaten oder Jahreszeiten erklären zu wol- len. Wir sehen hier politische Prozesse, die Jahre und Jahrzehnte andauern, ich wehre mich daher gegen den Begriff des „Ara- bischen Frühlings“. Tatsächlich ist es auch schwer zu sagen, was die Arabische Welt ausmacht. So wie man nicht pauschal be- antworten kann, wie sich Europa definiert. Arabien ist nicht schwarz-weiß, sondern sehr vielschichtig und nicht durch die „reli- Vor rund zehn Jahren wurde der „Arabische Frühling“ ausgerufen.Warum dieser Begriff aber zweifelhaft ist, und wieso die Region nicht zur Ruhe kommt, erklärt der bekannte Nahost-Korrespondent Karim El-Gawhary. HARALD KOLERUS Credit: Manfred Weis 16 . GELD-MAGAZIN – Jänner 2021 INTERVIEW . Karim El-Gawhary, Nahost-Experte

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