GELD-Magazin, Oktober 2020
Konspirativ. Es gibt sie zuhauf: Verschwö- rungstheorien. Manche behaupten, dass die Mondlandung von der US-Regierung in einem TV-Studio inszeniert worden ist, oder dass die CIA hinter den Anschlägen vom 11. September steckt. Andere be- schuldigen den Geheimbund der Illumina- ten, seit Jahrhunderten insgeheim die Ge- schicke der Welt zu lenken. Besonders ka- tastrophal: Die Nazis sahen eine jüdisch- bolschewistische Verschwörung am Werk. Das Resultat dieser Konstruktion war der Holocaust. Und gerade heute feiern Ver- schwörungstheorien Hochsaison: Seit 2015 Hunderttausende Flüchtlinge nach Europa kamen, kursiert im Netz die Theo- rie vom „Großen Austausch“: Länder wie Deutschland sollen von einer globalen „Fi- nanzoligarchie“ mittels der „Migrations- waffe“ ausgeschaltet werden. Um diese und ähnliche Verschwörungstheorien zu entschärfen, müssen sie im ersten Schritt zunächst definiert und eingeordnet wer- den. Das gelingt in „Nichts ist, wie es scheint“ von Michael Butter hervorragend. Gemeinsam ist Verschwörungstheorien laut dem Autor die Behauptung, dass eine im Geheimen operierende Gruppe, näm- lich die Verschwörer, aus niederen Beweg- gründen versucht, eine Institution, ein Land oder gleich die ganze Welt zu kon- trollieren. Drei Grundannahmen gelten da- bei für Verschwörungstheoretiker: Nichts ist, wie es scheint; nichts geschieht durch Zufall; alles ist miteinander verbunden. Eine Denkblase, die hoffentlich durch Auf- klärung aufgestochen werden kann. Roter Drache. Es ist alles andere als ein Unbedarfter, der hier über die mögliche Zukunft Chinas und Europas schreibt: Christoph Leitl ist amtierender Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer und war langjähriger Präsident der WKO. Aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz he- raus hat er nicht so sehr ein Fachbuch son- dern ein leidenschaftliches Essay geformt. Noch besser gesagt: Ein Plädoyer für Euro- pa – einem Kontinent, der sich angesichts des riesigen Konkurrenten China nicht selbst aufgeben darf. Sein Gedankenspiel: Die Volksrepublik China gehört im Jahr 2049 zu den führenden Weltmächten und strebt die Top-Position an. Hundert Jahre nach der Mao-Revolution ist das Reich der Mitte politisch, wirtschaftlich und militä- risch das stärkste Land der Welt. Auch Eur- opa feiert ein Jubiläum. Doch hundert Jah- re nach der Gründung des Europarates, der die Fundamente für eine gemeinsame eu- ropäische Identität legte, ist davon kaum etwas geblieben. Uneinigkeit und fehlende Visionen lähmen Europa, während sich der chinesische Drache über die Welt erhebt. Doch wer Leitl kennt, weiß: Er belässt es nicht bei düsteren Zukunftsvisionen. In zwölf Kapiteln führt er Ideen an, wie wir mit innovativen Lösungen, neuen Denkan- sätzen und internationalen Beziehungen Europa politisch und wirtschaftlich vor dem Abstieg bewahren können. Als we- sentlichen Mitgestalter der künftigen glo- balen Entwicklungen kann sich die EU im- mer noch positionieren. Aber nur, wenn wir besser heute als morgen aufwachen. Mathematik und Milliarden. Den we- nigsten Menschen ist der Name Jim Si- mons wahrscheinlich ein fixer Begriff. Da- bei ist er der größte „Money Maker“ der modernen Finanzgeschichte, wie der New- York-Times-Bestsellerautor Gregory Zu- ckerman in vorliegendem Werk schildert. Wir lernen hier: Jim Simons kommt kein anderer Investor gleich – auch nicht weit- aus bekanntere Namen wie Warren Buffett, Ray Dalio oder George Soros. Simons, ein Mathematiker mit Weltklasse-Format (Ab- schluss am MIT), nützte sein Fachwissen, um in der Finanzbranche kräftig umzurüh- ren und gleichzeitig abzuräumen. Seit 1988 hat der von seiner New Yorker Invest- mentgesellschaft Renaissance Technolo- gies emittierte Medallion-Fonds eine durchschnittliche jährliche Rendite von 66 Prozent erwirtschaftet. So wurden Ge- winne von über 100 Milliarden Dollar er- zielt, wobei das Vermögen Simons` auf mehr als 20 Milliarden Dollar geschätzt wird. Autor Zuckerman behauptet auch, dass Renaissance soviel Geld abgeworfen hat, dass Simons am Ende enormen Ein- fluss auf die Welt der Politik, Wissenschaft und Bildung ausübte. Hinzugefügt werden muss allerdings, dass Renaissance, so wie andere quantitativ agierende Fonds, 2007 plötzliche Verluste hinnehmen musste und die Gesellschaft 2010 von Brown und Mercer akquiriert worden ist. Simons selbst trat 2017 als Co-CEO zurück. Den- noch eine faszinierende Story eines weitge- hend unbekannten „Helden“ der moder- nen Finanz- und Investmentgeschichte. China am Ziel! Europa am Ende? Christoph Leitl. Verlag: Ecowin. 166 Seiten. ISBN: 978-3-7110-0256-3 Nichts ist, wie es scheint Michael Butter. Verlag: Suhrkamp. 271 Seiten. ISBN: 978-3-518-07360-5 Der Meister der Märkte Gregory Zuckerman. Verlag: FBV. 384 Seiten. ISBN: 978-3-95972-343-5 BUCHTIPPS . Neuerscheinungen & Pflichtlektüre Credits: beigestellt 82 . GELD-MAGAZIN – Oktober 2020
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