GELD-Magazin, Oktober 2020

Durchführung eines Wunsch- und Bedürf- nistests sowie die Erteilung von Produktin- formationen und so weiter. Die so gefor- derte Chronologie führt nicht nur oftmals zu einem deutlichen „Stocken“ des Ver- triebs- und Betreuungsprozesses, sondern torpediert auch nicht selten die expliziten Kundenwünsche. Auch im Umstand, dass es faktisch kaum noch die Möglichkeit eines „execution only“ bzw. einer reinen Vermittlungsleistung ohne vorhergehende Beratung gibt, ist kritisch zu sehen. Schließlich halte ich einige der Messlatten, die der Gesetzgeber an Vertreiber anlegt, für zu hoch. Können Sie ein Beispiel nennen? Von meinem Versicherungsvermittler im Rahmen der Beratung „suitable advice“ zu verlangen, also, dass mir der Dienstleister ein Produkt anrät, dass für mich geeignet ist, klingt für mich nach einer fairen und vernünftigen Erwartungshaltung. In Bezug auf das „best advice“ im Sinne der IDD hin- gegen, also die Anforderung, dass mir der Vermittler DAS beste am Markt verfügbare Produkt anrät, würde ich das so nicht unter- schreiben. Auch das vom Gesetzgeber de- klarierte Ziel der gebotenen Produktinfor- mation, wonach bereits durch diese der Kunde in die Lage versetzt werden soll, eine „wohlinformierte Entscheidung“ treffen zu können, scheint mir zu hoch bzw. nicht den realen Verhältnissen entsprechend. Trotz der Regulierungen kommt es im- mer wieder zu Finanzskandalen ... Auf den ersten Blick mag das verwunderlich erscheinen, mich überrascht es nicht. Die Skandale der jüngeren und älteren Vergan- genheit wurden regelmäßig von „vifen kri- minellen Geistern“ heraufbeschworen. Re- gulierung ist aber nicht in der Lage, krimi- nellen Erfolg stets und absolut zu vereiteln. Eine solche Erwartungshaltung ist zu hoch gegriffen. Sie kann es kriminellen Men- schen aber deutlich erschweren, ihre Vorha- ben umzusetzen. Wir sind dank der heu- tigen Rahmenbedingungen zumindest schon mal so weit, dass ein Einzelner im Unternehmen kaum noch unentdeckt sein Unwesen treiben kann. Es braucht zumin- dest einen zweiten, wenn nicht gar mehrere Mittäter. Das ist schon ein Erfolg. Eine wei- tere Verschärfung der Regulierung kann al- lerdings nicht das primäre Heilsmittel zur besseren Skandalprävention für die Zu- kunft sein. Die trickreichen Protagonisten schaffen es zumeist auf erstaunliche Weise, ihr Kontrollumfeld auszuhebeln. Die Maß- nahmen reichen dabei von despotischem Verhalten und Einschüchterung bis hin zu Hinhalte-Taktiken, Beruhigung und Be- schwichtigung. Wirksame Früherkennung sollte daher jedenfalls auch auf mensch- liches Verhalten fokussieren. Das ist aber gerade für eine staatliche Aufsicht leichter gesagt als getan: Zwischenmenschliches Verhalten ist weit schwerer mess- und greif- bar zu machen, als etwa Unternehmens- kennzahlen. Jedenfalls aber müssen wir ge- samtheitlich an einer Kultur arbeiten, in der die unternehmens-INTERNEN Kontrollin- stanzen, wie Compliance, Revision oder auch der Aufsichtsrat, sich ihrer Verantwor- tung noch mehr bewusst werden und noch rigoroser ein entsprechend kooperatives Verhalten ihres zu kontrollierenden Um- felds einfordern. www.kapitalmarktconsult.at Zur Person Mag. Günther Ritzinger ist geschäfts- führender Gesellschafter der 2010 gegründeten Wiener Beratungsfirma Kapitalmarkt Consult (KCU). Seine be- ruflichen Erfahrungen sammelte er zu- vor unter anderem als leitender Mitar- beiter der Finanzmarktaufsicht (FMA) sowie als leitender Mitarbeiter von Banken und Wertpapierfirmen in den Bereichen Recht, Compliance, Inter- ne Revision und Risikomanagement. Ritzinger gilt zu Recht als hervorra- gender Kenner der heimischen Ver- sicherungslandschaft und beobachtet Neuerungen wie die IDD sehr genau. Oktober 2020 – GELD-MAGAZIN . 77

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