GELD-Magazin, Oktober 2020

Überreguliert? E twa ein Jahr lang ist die Versiche- rungsvertriebsrichtlinie IDD in Kraft. Eigentlich sollte sie die Pra- xis des Vertriebs neu regeln, und zwar ganz im Sinne der Kunden. Martktteilnehmer klagen allerdings über Mängel: Die vom Ge- setzgeber anvisierte Klarheit wird vermisst und ein erhöhtes Maß an Komplexität ma- che das Leben für Versicherungsvermittler schwer. Stimmt das? Günther Ritzinger, ge- schäftsführender Gesellschafter von Kapi- talmarkt Consult hat für die neue Richtlinie sowohl Lob als auch Kritik parat. Was ist IDD in kurzen Worten? Die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD bildet einen europaweit einheitlichen Rechtsrahmen für den Vertrieb von Versi- cherungsprodukten. Wesentliche Zielset- zungen des Regimes sind die Verbesserung der Kundenaufklärung vor Dienstleistungs- erbringung sowie die Erhöhung der Dienst- leistungs- und Produktqualität. Was wurde bisher in der Praxis erreicht? Die IDD war hierzulande bis 1. Oktober 2018 umzusetzen. Das ist nicht in allen not- wendigen Aspekten zeitgerecht geglückt. Heute aber stehen wir vor dem finalisierten Transfer in nationales Recht samt den we- sentlichen Nebenschauplätzen. Auch die Umsetzung durch die Versicherungsvertrei- ber selbst, allen voran der Versicherungen, Makler und Agenten, ist, soweit ich das beo- bachten kann, weit gediehen. Die Nachricht, dass Versicherungsvermittlung ohne Bera- tung unter IDD de facto kaum noch möglich ist, ist in der Branche ebenso angekommen wie die berechtigte Angst vor der hohen Messlatte des „best advice“. Über weite Strecken haben Betroffene mittlerweile Pro- zesse implementiert, die diesen Umständen bestmöglich Rechnung tragen sollen. Glei- ches gilt für die Abbildung der Informati- onspflichten gegenüber Kunden: Die not- wendigen Abläufe sind bekannt, geklärt und in den Unternehmen im Wesentlichen bereits definiert. Wo es allerdings oft noch hapert, ist die vollständige und korrekte Do- kumentation der konkreten Informationser- teilungen und Beratungsgespräche. Die ver- pflichtende Einführung von Produkt-über- wachungsvorkehrungen, die wir besser un- ter dem Titel „Product Governance“ kennen, war natürlich ein Novum für die Branche. Weniger produktbezogen inhaltlich, als vielmehr in Bezug auf die gebotenen Ab- läufe und erforderlichen Dokumentationen. Fragen zu diesem Themenblock vernehme ich vor allem immer wieder in Bezug auf den gebotenen Informationsaustausch zwi- schen Produktherstellern und Vertreibern. Jedenfalls positiv anzumerken ist, dass wir in Österreich nach längerem Tauziehen schließlich doch zu finalen Standesregeln und Weiterbildungsplänen für Versiche- rungsvermittler finden konnten. Das schafft bei den Betroffenen letztlich für ein gutes Stück Rechtssicherheit und Orientierung. Was gibt es an der IDD zu kritisieren? Wie bei allen Regulierungen so hat auch bei IDD der Gesetzgeber einiges sicherlich gut, einiges aber auch nicht so gut gemacht. Die neue Statusklarheit zum Beispiel, also die Pflicht der Vermittler, sich eindeutig als Makler oder Agent zu deklarieren, war von Beginn an ein sensibles Thema. Und ist im Übrigen nach wie vor umstritten. Das be- rechtigte Interesse des Kunden, zu wissen, ob er einem Makler gegenüber sitzt, der sei- ne Interessen vertritt, oder aber einem Agenten, der einer Versicherung zuzurech- nen ist, ist allerdings legitim. Insofern halte ich diesen Schritt auch grundsätzlich für sinnvoll. Selbiges gilt für die standardisier- ten Produktinformationen, wie LIPID, KID und & Co.: Der Gesetzgeber verfolgt den durchaus sinnvollen Ansatz der Kompaktin- formation. Kundeninformationen MÜSSEN kurz und prägnant sein. Viel-Seiter liest der Kunde im Regelfall nicht, das anzunehmen wäre praxisfern. Allerdings sollten Kom- paktinformationen das Wesentliche auch wirklich verständlich darlegen, und zwar gerade für den fachlich nicht einschlägig Ausgebildeten. Da haben wir sicherlich noch Aufholbedarf. DieVersicherungslandschaft sollte durch die Richtlinie IDD kundenfreund- licher gestaltet werden. Ob das wirklich gelungen ist, besprach das GELD- Magazin mit dem Experten Günther Ritzinger. HARALD KOLERUS Es stimmt nicht, dass IDD generell zu einer Überregulierung der Branche geführt hat. Oft ist in Zusammenhang mit IDD von Überregulierung die Rede ... Dass Versicherungsvertreiber durch das IDD-Regime nun „überreguliert“ seien, stimmt so generell sicherlich nicht. „Kom- plex“, teils „schwer verständlich“ und teil- weise auch „praxisfern“, das sind aber Attri- bute, die sich die IDD vermutlich schon ge- fallen lassen muss. Ein Beispiel: IDD gibt Vertreibern gewisse chronologische Pflicht- abläufe vor, wie die Erteilung von allgemei- nen Auskünften an den prospektiven Versi- cherungsnehmer, die daran anknüpfende 76 . GELD-MAGAZIN – Oktober 2020 INTERVIEW . Günther Ritzinger, Kapitalmarktconsult Credit: Archiv

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