GELD-Magazin, Oktober 2020

der Inflation bildet, spielen kurzfristig zahl- reiche andere Kräfte eine Rolle. Selbst in Zeiten eines raschen Anstiegs der Geldmen- ge relativ zur Realwirtschaft kann der Infla- tionsdruck sinken und umgekehrt. Grund dafür ist, dass Konsumenten mehr oder we- niger bereit sein können, ihre vorhandenen Barguthaben auszugeben. Häufig wird argu- mentiert, dass die sinkende Geldumlaufge- schwindigkeit die gegenwärtige Disinflation erklärt und eine zusätzliche Erhöhung der Geldmenge die Inflation nicht ankurbeln wird. In Wirklichkeit spiegelt der Geschwin- digkeitsabfall eine Zunahme der Bereit- schaft des Einzelnen wider, Geld als Wert- speicher zu halten. Das Geld existiert jedoch und dient als Quelle potenzieller zukünf- tiger Inflation. Der einzige Weg, wie eine steigende Geldmenge im Verhältnis zum BIP die Inflation nicht ankurbelt, besteht darin, dass die Empfänger des Geldes weiterhin er- warten, dass es trotz immer größerer Men- gen seinen Wert behält. Ironischerweise ist es diese Zuversicht, die zu mehr Haushalts- defiziten und expansiver Geldpolitik führt, und die ihre Wiederbelebung so gut wie ga- rantiert. Alles Ansichtssache? Ein weiterer Grund für die wachsende Infla- tionsangst der Konsumenten ist auf die Be- rechnung des allgemeinen Preisniveaus zu- rückzuführen, die auf einem repräsenta- Credits: OECD/Stéphane Kyndt „Ich glaube, Inflation ist mittelfristig durchaus ein Risiko.“ Laurence Boone, Chefökonomin der OECD stärkerer Euro relativ zum Dollar die Inflati- on drückt, indem er die Importkosten senkt und die Exporteure weniger wettbewerbsfä- hig macht. Meinungsverschiedenheiten Doch warum versuchen Anleger weltweit, sich vor einer anbahnenden Inflation zu schützen, während Zentralbanken ihr wie verrückt hinterherjagen? Um diese Frage zu beantworten, ist es sinnvoll, einen Blick da- rauf zu werfen, wie Inflation zustande kommt. Ein guter Ausgangspunkt dafür ist die Definition Milton Friedmans, der postu- lierte, dass das langfristige Preisniveau umso höher ist, je mehr Geld in einer Volks- wirtschaft im Verhältnis zur realen Waren- produktion vorhanden ist. So betrachtet, ist leicht zu verstehen, warum Investoren sich fürchten, dass die gegenwärtige Rezession in Kombination mit aggressiver Geldpolitik ein gewisses Inflationsrisiko birgt. Unter „Geld“ ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht nur Bargeld zu verstehen, son- dern auch Staatsanleihen, die von der Öf- fentlichkeit gehalten werden. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Regierungen Staats- anleihen ausgibt, die wiederum von ihren eigenen Zentralbanken gekauft werden, be- deutet, dass Staatsanleihen als Geldform fungieren. Während das Verhältnis der Geld- menge zur Größe der Realwirtschaft die Grundlage für langfristige Veränderungen Wachstumstreiber Inflation? Die positive Korrelation zwischen Wirtschaftstätigkeit und Inflation in Industrieländern hat zu dem Schluss geführt, dass eine steigende Ge- samtnachfrage sowohl Wachstum als auch Inflation verursacht und nied- rige Inflation mit schwachemWachs- tum verbunden ist, das durch geldpo- litische Initiativen stimuliert werden muss. Steigerungen des allgemeinen Preisniveaus sind jedoch nicht auf eine steigende Nachfrage zurückzufüh- ren, sondern auf eine Erhöhung des Geldbetrags, den die Konsumenten für sie ausgeben können und wollen. In der Realität untergraben übermä- ßiger Gelddruck und niedrige Zinsen das Wachstum, indem die Verschul- dung steigt und die Produktivität sinkt. Der Grund warum Rezessionen in den letzten zwei Jahrzehnten trotz der inflationären Auswirkungen einer ver- ringerten Produktion von Waren und Dienstleistungen eher mit einem Rück- gang der Inflation verbunden waren, war, dass die indirekten Auswirkungen von steigendem Kreditstress und sin- kenden Vermögenswerten tendenziell disinflationär wirken und die Nachfra- ge nach Bargeld im Verhältnis zu Wa- ren und Dienstleistungen erhöhen. In Zeiten wirtschaftlicher Schwäche hat der Rückgang des Eigenkapitals die Bereitschaft verringert,vorhandenes Barguthaben auszugeben. Oktober 2020 – GELD-MAGAZIN . 11 ... trotzdem blieben die Inflationsraten bisher niedrig Seit Jahren kämpfen Währungshüter in den Industrieländern mit Disinflation. Auch Nullzins- sätze und massive quantitative Lockerungen zeigten kaum eine Wirkung. Quelle: tradingeconomics.com US INFLATIONSRATE EU INFLATIONSRATE -0,5% 0% 0,5% 1,0% 1,5% 2,0% 2,5% 3,0% 2016 2017 2018 2019 2020

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