GELD-Magazin, Juli/August 2020

Unterschätzt? Wenn wir von wirtschaftli- chen Aufsteigern und Investmentmöglich- keiten in Schwellenländern reden, denken wir zumeist an erster Stelle an China. Im- merhin handelt es sich dabei auch um das bevölkerungreichste Land und die zweit- größte Ökonomie des Planeten. Allerdings sollte man auch nicht auf Indien vergessen, wie Michael Braun Alexander in seinem jüngsten Buch meint. In Kürze wird der Subkontinent nämlich mehr Einwohner zählen als jedes andere Land, also auch mehr als China. Wobei Indiens Aufstieg zur globalen Wirtschaftsmacht bereits vor 30 Jahren mit einem Reform-Big-Bang be- gann. Seitdem hat sich das Boom-Land zum fünftgrößten Wirtschaftsraum rund um den Globus entwickelt; 2040 wird es voraussichtlich sogar die USA einholen. „In Zukunftsbranchen wie IT oder Telekom- munikation hat Indien Länder wie Deutschland längst abgehängt“, so der Wirtschaftsjournalist und Indien-Korre- spondent. Dass er sein Handwerk versteht, beweist er auch in diesem Buch, das leicht verständlich, unterhaltsam aber gleichzei- tig nicht simplifizierend ist. Empfehlens- wert ist etwa das Kapitel „Eine kurze Ge- schichte Indiens“, in dem Braun Alexander das Kunststück gelingt, die wichtigsten hi- storischen Fakten und Entwicklungen des Subkontinents auf nur rund 35 Seiten zu- sammenzufassen. Nicht außer Acht gelas- sen werden darf natürlich, dass Indien in vielen Beziehungen eben auch noch ein Entwicklungsland ist. Aber gerade das bie- tet Potenzial. Schweres Erbe. Ein historisches Thema, das noch heute heiß umstritten ist: Der Ko- lonialismus. Unter dem Vorwand der Zivili- sierung und Missionierung diente er in Wirklichkeit doch in erster Linie der Berei- cherung der Kolonialmächte. Die Koloni- sierung ist aber auch als Vorläufer der Glo- balisierung zu sehen, wie der Historiker Ludolf Pelizaeus in vorliegendem Werk schildert. Ausgehend von Italien, wurden zunächst Spanien und Portugal in der eu- ropäischen kolonialen Expansion aktiv, dann aber auch England, die Niederlande und Frankreich. Es wurden aber auch „klei- nere Brötchen“ gebacken: Da die Versuche Brandenburg-Preußens scheiterten, wurde das Deutsche Reich erst am Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Kolonialmacht. Die- se nahm sich bekanntlich im Vergleich zu Spanien oder gar Großbritannien aller- dings bescheiden aus. Und Österreich? Die Heiratspolitik der Habsburger ist ja be- kannt, Kolonien konnte die K.u.K. Monar- chie aber keine erzwingen. Dafür gab es tatsächlich eine österreichische „Ostin- dische Compagnie“, die nach dem Beispiel britischer und niederländischer Unterneh- mungen agieren wollte. Ihr war dabei we- nig Erfolg beschieden, sie existierte nur von 1719 bis 1727. Vielleicht auch besser so! Jedenfalls erfährt man in „Der Kolonia- lismus“ nicht nur solche interessanten De- tails, sondern es wird der große Bogen über Entstehung und Wachsen der Kolonial­ reiche bis zu ihrem Ende gespannt. Dabei darf das Thema Dekolonisation im 20. Jahrhundert natürlich nicht fehlen. Komplexe Thematik. Immerwiederkeh- rende Rassenunruhen in den USA haben uns gerade heuer wieder gezeigt, dass der Konflikt zwischen „Schwarz“ und Weiß“ leider noch lange nicht gelöst ist. Die Ursa- chen hierfür werden in „Kritik der schwar- zen Vernunft“ auf philosophischer Ebene gesucht. Hierzu muss man vorausschicken, dass schon aufgrund der komplexen The- matik und des sehr umfassenden Ansatzes das Buch nicht gerade leicht zu lesen ist. Das ändert nichts an der Kernaussage: Der globale Kapitalismus hat demnach seit sei- ner Entstehung immer schon nicht nur Wa- ren, sondern auch „Rassen“ und „Spezies“ produziert. Ihm liegt ein rassistisches Den- ken, eine „schwarze Vernunft“ zugrunde, wie der afrikanische Philosoph und Vor- denker des Postkolonialismus Achille Mbembe aufzeigt. Der sich unaufhaltsam ausbreitende Kapitalismus neoliberaler Spielart überträgt laut Mbembe die Figur des „Negers“ nun auf die gesamte „subal- terne Menschheit“. In diesem Prozess des „Schwarzwerdens der Welt“, so die radika- le Kritik des Philosophen, bilden auch Eur- opa und seine Bürger mittlerweile nur noch eine weitere Provinz im weltumspan- nenden Imperium dieses Kapitalismus. Wie dieser kurze Auszug bereits deutlich vor Augen führt, ist das Buch kein Lesestoff für Menschen, die mit Kapitalismuskritik nichts anfangen können. Wer aber aus fest- gefahrenen Bahnen ausbrechen möchte, ist bei Mbembe an der richtigen Adresse. Um leichte „Nachtkästchen-Lektüre“ handelt es sich dabei jedenfalls nicht. Der Kolonialismus Ludolf Pelizaeus. Verlag: marixwissen. 256 Seiten. ISBN: 978-3-86539-941-0 Indien Superpower Michael Braun Alexander. Verlag: FBV. 400 Seiten. ISBN: 978-3-95972-136-3 Kritik der schwarzen Vernunft Achille Mbembe. Verlag: Suhrkamp. 164 Seiten. ISBN: 978-3-99013-078-0 BUCHTIPPS . Neuerscheinungen & Pflichtlektüre Credits: beigestellt 82 . GELD-MAGAZIN – September 2020

RkJQdWJsaXNoZXIy MzgxOTU=