GELD-Magazin, Juli/August 2020
BIP-Anteil nach Sektoren Die Wirtschaft Hongkongs ist voll auf Dienstleistungen ausgerichtet; die Land- wirtschaft ist mit 0,1 Prozent des BIP nur eine marginale Randerscheinung. Quelle: Weltbank Dienstleistungen 93,1% Produktion/Industrie 6,8% 20 . GELD-MAGAZIN – September 2020 ger, stärker an der Gesellschaft zu partizi- pieren. Außerdem sind die Chancen für For- men einer friedlichen Konfliktlösung leider geringer geworden.“ Deeskalation ist gefragt Gibt es dennoch Möglichkeiten, um dem zu- nehmend autoritäreren Kurs Pekings entge- genzusteuern? Weigelin-Schwiedrzik warnt in diesem Zusammenhang jedenfalls vor ei- ner Radikalisierung der Protestbewegung. Denn eine solche spielt in Wirklichkeit der Volksrepublik China in die Hände. So passte etwa die Besetzung der Universität in Hong- kong durch Demonstranten Peking ins Kon- zept. So lässt sich von den Machthabern leicht sagen: „Wir brauchen ein hartes Si- cherheitsgesetz, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.“ Je extremer die Maßnahmen der Demonstranten, desto mehr könnte die Protestbewegung gespalten werden; vor allem die Hongkonger Eliten würden dann stärker zu Peking tendieren. Die Situation ist also verzwickt, was ebenso für den We- sten gilt. Denn Einmischungen von außen können schnell von Peking zu Propaganda- zwecken instrumentalisiert werden. Wirt- schaftssanktionen oder ähnliches hätten wohl wenig ökonomische Effekte und wür- den Hongkong wahrscheinlich noch fester an das Festland schweißen. Weigelin- Schwiedrzik empfiehlt deshalb westlichen Politikern, jene Fraktion in Peking zu unter- stützen, die zu den „Tauben“ zählt. Diejeni- gen also, die eher einen moderaten Weg ge- hen wollen, wobei vor allem Li Keqiang als Identifikationsfigur für Vernunft und Zu- sammenarbeit gilt. Wobei es bezeichnend ist, dass Li Keqiang zwar chinesischer Mini- sterpräsident, aber im Westen einer breiten Öffentlichkeit praktisch unbekannt ist ... Gefährdeter Standort Letztlich gilt es die Frage zu beantworten, inwiefern der Konflikt der Wirtschaft Hon- kongs schadet, die ja extrem auf Dienstlei- stungen und die Finanzindustrie ausgerich- tet ist (siehe Grafik links). Eine Schwäche des Leitindex Hang Seng aus der politischen Krise ableiten zu wollen, ist zu abenteuer- lich. Hier spielt doch Corona die erste Gei- ge. Doch abgesehen von Covid-19 hat so mancher hat das Vertrauen in die Zukunft des Standortes verloren. So heißt es von Germany Trade & Invest (Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außen- wirtschaft): „Für die politischen und sozia- len Probleme, die zu den Massende- monstrationen und Gewaltexzessen führten, gibt es nach wie vor keine grundle- genden Lösungsansätze.“ Die Experten ver- weisen auf eine Analyse des Mercator Insti- tute for China Studies (MERICS) über Hongkongs wirtschaftliche Zukunft. Die Po- sition als Finanzzentrum beruhe auf der ho- hen Autonomie der Stadt, heißt es in der Veröffentlichung. Pekings Reaktion auf die Proteste sorge dabei für wachsendes Miss- trauen gegenüber den Hongkonger Instituti- onen und gefährde die Position als Off- shore-Finanzzentrum, warnte das For- schungsinstitut. Somit könnte sich das harte Vorgehen der Volksrepublik zu einem Schuss ins eigene Knie entwickeln. Dass eine weiteres wirtschaftliches Zentrum, die Sonderverwaltungszone Shenzen, von einem Abdriften Hongkongs profitieren könnte, ist dabei höchst fraglich. Denn wa- rum sollten politisch motivierte Investoren Geld aus Hongkong abziehen, um es erst recht in Festland-China zu investieren? BRENNPUNKT . Hongkong China und Menschenrechte Obwohl der Schutz der Menschen- rechte seit 2004 in der chinesischen Verfassung integriert ist, stehen ihre Verletzungen an der Tagesordnung. China folgt nicht der westlichen Auf- fassung von Menschenrechten, son- dern seiner eigenen. Hierbei hat das Allgemeinwohl eine weitaus höhere Priorität als das Wohl des Einzelnen, weshalb beispielsweise der wirt- schaftliche Erfolg wichtiger ist als der Schutz der Rechte von Individuen. Auch wenn in den letzten Jahren einige Verbesserungen erzielt wurden, gibt es immer noch viele Probleme, wie beispielsweise Folter und die Todes- strafe, welche von der Regierung im Geheimen praktiziert werden. China stuft Informationen über die massen- hafte Anwendung der Todesstrafe nach wie vor als Staatsgeheimnis ein. Die Regierung schränkte die Rech- te auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit 2019 wei- ter ein. Sämtliche Medien unter- liegen einer strikten staatlichen Zensur – von Druckerzeugnis- sen bis hin zu Computerspielen. Quellen: AI, IGM
RkJQdWJsaXNoZXIy MzgxOTU=