GELD-Magazin, Juli/August 2020

N icht nur die Politik sondern auch die Märkte schienen sich einig: Das fieberhaft erwartete Ergebnis der Marathon-Sitzung rund um den europä- ischen Wiederaufbaufonds stellt einen hi- storischen Wendepunkt mit gleich mehre- ren Novitäten in der Geschichte der Union dar. Im Zeichen der Solidarität konnten sich die Staats- und Regierungschefs Ende Juli zu einem gemeinsamen europäischen Kapi- talmarkt und einem Ansatz einer Fiskaluni- on durchringen. Vor ein paar Monaten noch war das völlig undenkbar. Nun sollen 2021 erstmals kollektive „europäische Schulden“ aufgenommen werden, die über Budget­ transfers (sprich EU-weite Steuern der EU- Kommission) zurückgezahlt werden – und nicht in Form von aus der Eurokrise schmerzlich in Erinnerung gebliebener Kre- dite, die später teilweise über neue Eigen- mittel zurückgezahlt werden müssen. Next Generation EU Der erzielte Kompromiss ist eine abge- speckte Version dessen, was die EU-Kom- mission zur Bewältigung der Krise bereits im Mai eindringlich gefordert hatte. Gleich- zeitig mit dem aufkommenden Siebenjah- resbudget einigte man sich auf einen 750 Milliarden schweren EU-Wiederaufbau- fonds – offiziell als „Next Generation EU“ bekannt. Er soll sich aus kollektiv am Kapi- talmarkt aufgenommenen Krediten speisen. Zähester Verhandlungspunkt der EU-Staats- oberhäupter war dabei nicht etwa die Ge- samthöhe, sondern das Verhältnis zwischen nichtrückzahlbaren Zuschüssen und Kre- diten, die vom Fonds bereitgestellt werden sollen. Anders als die ursprünglich von Brüssel empfohlenen und von Deutschland und Frankreich forcierten 500 Milliarden, einigte man sich schließlich auf 390 Milliar- den an Zuschüssen und 360 Milliarden an Darlehen. Zwanzig Prozent (77,5 Mrd. Euro) der Zuschüsse sollen der Aufstockung der normalen EU-Haushaltsprogramme die- nen, während achtzig Prozent (312,5 Mrd. Euro) in die sogenannte EU-Fazilität für Wiederaufbau und Widerstandsfähigkeit fließen. Um Zugang zu letzterer zu erhal- ten, müssen die Mitgliedstaaten nationale Sanierungspläne erstellen, die bestimmten Reformen in Bezug auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit, sowie länderspezifisch auch auf Arbeitsrechte und Pensionen gerecht werden. BRENNPUNKT . EU-Wiederaufbaufonds Europas Moment Es schwingt eine gewisse Ironie mit, dass es erst einer Gesundheitskrise bedurfte, um die EU dazu zu bewegen, ihre eigenen Kinderkrankheiten in Angriff zu nehmen. Kommt mit dem Wiederaufbaupaket nun tatsächlich die langersehnte Wende? MORITZ SCHUH Credits: Wikipedia/DAVID ILIFF; commons.wikimedia/governo.it; ECB „Der Fonds ist der Beginn eines Prozesses, der eine Kapitalmarktunion beinhalten muss.“ Vítor Constâncio, ehemaliger Vizepräsident der EZB „Mit den Beihilfen wollen wir Italien wieder durchstarten lassen, wir wollen das Gesicht dieses Landes verändern.“ Giuseppe Conte, italienischer Ministerpräsident Der Wiederaufbaufonds soll im EU-Parlament nach Ratefizierung in allen nationalen Parla- menten der EU-Mitglieder beschlossen werden. 10 . GELD-MAGAZIN – September 2020

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