GELD-Magazin, Mai 2020
D ie globale Demokratie erlebte 2019 ein weiteres schlechtes Jahr“, zu diesem ernüchternden Urteil kam die Economist Intelligence Unit (EIU) bei der Erstellung ihres vielbeachte- ten jährlichen Demokratie-Index. Die Kurz- fassung lautet: Die Demokratie befindet sich auf dem Rückzug. Die Umfrage bewer- tet den Zustand von 167 Ländern anhand von fünf Kategorien (siehe Grafik rechts), mit dem Resultat, dass die Demokratie im vergangen Jahr weltweit erodierte. Der er- rechnete globale Durchschnittswert von 5,44 Punkten (der beste Wert sind zehn Zähler) ist dabei der niedrigste seit Beginn der Messung im Jahr 2006. 7,1 Milliarden Menschen betroffen Laut den strengen Kriterien der EIU sind überhaupt nur 22 Länder, die 430 Millionen Einwohner zählen, als „vollständige Demo- kratien“ zu bezeichen. Bei einer Weltbevöl- kerung von aktuell rund 7,6 Milliarden Menschen bedeutet das im Umkehrschluss, dass 7,17 Milliarden in „fehlerhaften“ De- mokratien oder „Hybridsystemen“ leben. Wenn nicht gleich in autoritären Regimen. Zu dieser Kategorie zählt die EIU zum Bei- spiel China, aber auch Weissrussland und Russland, die bekanntlich an die EU an- grenzen. Aber auch innerhalb Europas ist nicht alles eitel Sonnenschein, wobei ein ge- wisses regionales Gefälle zu beobachten ist. Die nordeuropäischen Länder erweisen sich als vorbildlich: Norwegen ist das Land mit der höchsten Demokratiequalität weltweit, auf den Rängen folgen Island und Schwe- den. Anders sieht die Situation in Staaten des ehemaligen Ostblocks aus: Ungarn lan- det im globalen Rating lediglich auf Platz 55, Polen auf 57 und Rumänien auf 63. Allesamt werden sie als „fehlerhafte Demo- kratien“ eingestuft. Nun könnte man die Methodik der EIU als zu rigide kritisieren, immerhin werden auch die Vereinigten Staaten dieser fehlerhaften Kategorie zuge- ordnet. (Was unter anderem mit einem wei- teren Vertrauensverlust der Bevölkerung in staatliche Institutionen erklärt wird.) Das ändert aber nichts am Festhalten der abstei- genden Tendenz der Demokratisierung weltweit. Außerdem ist auch ohne aufwen- dige Datenmessung offensichtlich, dass Länder wie Ungarn bereits seit Längerem zunehmend autokratische Züge angenom- men haben. Und dann kam Corona. Parlamentarismus unerwünscht Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban nutzte die allgemeine Verunsicherung rund um die Pandemie für die Stilllegung des Parlaments in seinem Heimatland. Begrün- det wurde das – und die Einführung von Notstandsgesetzen – mit der Rettung von Menschenleben in einer schweren Krisen- zeit. Die missfallende Reaktion der EU-Mit- glieder an diesem beispiellosen Schritt war vorhanden, aber so verhalten und leise, dass sie im Covid-Mediengetöse unterging. Zu der Kritik meinte Orban, er habe „gerade ganz andere Sorgen“ oder „keine Zeit für so etwas“. Dabei ist der zweifelhafte Sonder- weg Ungarns wirklich keine Neuigkeit, son- dern wurde durch Corona lediglich verfes tigt. So urteilt das Projekt „BTI Transforma- tion Index“: „Nach dem Wahlsieg von Fidesz (Orbans Partei) 2018 wurde die Gewalten- teilung weiter beschnitten. Auch die Aus- weitung und Zentralisierung des staatlichen Einflusses auf die Medien nahm zu. Zudem wandte sich die Regierung gegen die akade- mischen Freiheiten und die Autonomie der WIRTSCHAFT . Demokratie und Datenschutz Intensivpatient Rechtsstaat In Zeiten von Corona sind nicht nur Gesundheit und Wirtschaft in Gefahr. Die Pandemie könnte als willkomenes Alibi dienen, um Demokratie und Datenschutz auszuhöhlen. Kein Land ist davor gefeit. HARALD KOLERUS Credit: Noura El-Kordy; Quelle: Statista/The Economist Intelligence Unit Österreich: Vorsicht Von 167 untersuchten Staaten nimmt die Alpenrepublik im Demokratie- Index der Economist Intelligence Unit Rang 16 ein. Die Maßnahmen, die derzeit in Österreich zur Bekämp- fung des Coronavirus gesetzt wer- den, sind laut Amnesty International „sinnvoll und verhältnismäßig“. Bis jetzt sei einwandfrei vernünftig und vorausschauend gearbeitet worden. Es gibt aber auch Kritik: So meint die Opposition, dass bei der Bekämp- fung von Corona nicht Expertenmei- nungen transparent gemacht würden, sondern nur die Linie der Regierung zähle. Auch dem Parlament habe Türkis-Grün viel Mitsprache entzo- gen. „Fristen werden verkürzt. Ge- setze werden nicht einzeln, sondern in Sammelpaketen abgestimmt, und regiert wird vor allem über Erlässe der Ministerien – was in Demokratien sehr zweifelhaft ist“, heißt es seitens der SPÖ. Dass auch in Österreich Vor- sicht geboten ist, hat uns „Ibiza“ vor Augen geführt. Strache sagte damals: „Wir wollen eine Medienlandschaft ähnlich wie der Orbans aufbauen“ „ 8 . GELD-MAGAZIN – Mai 2020
RkJQdWJsaXNoZXIy MzgxOTU=