GELD-Magazin, Mai 2020
Druck. Überraschend stufte Fitch Italiens Bonität kürzlich auf ein Niveau knapp über Ramsch herab. Um die Tragfähigkeit der ho- hen Schuldenstände abzusichern und eine weitere Zuspitzung der Lage zu vermeiden, fordern Italien, Spanien und Frankreich da- her eine schnelle Lösung, bei der die Last durch eine gemeinsame Schuldenaufnahme der Europäischen Union geteilt werden soll. Regierungen wie Deutschland, Österreich und die Niederlande lehnen das aber vehe- ment ab, aus Angst davor, am Ende den Großteil der Rechnung tragen zu müssen. EZB als Krisenfeuerwehr Angesichts der Schwierigkeiten der Regie- rungen, sich auf ein gemeinsames fiskalpoli- tisches Vorgehen zu einigen, liegt der Ball jetzt wieder einmal bei der EZB. Zwar ver- zichtete man bei der letzten Sitzung darauf, das Anleihenkaufprogramm erneut zu ver- stärken und senkte stattdessen nur die Fi- nanzierungskosten für Banken. Doch die wiederholte Aufforderung an die Politik, mehr fiskalische Unterstützung zu leisten, zeigt wie sehr die EZB mit dem Rücken zur Wand steht. Schätzungen von Ökonomen zufolge werden dieses Jahr mindestens wei- tere 500 Milliarden notwendig sein, um ein Ausufern der Zinsen zu vermeiden. Die Stra- tegie, Schulden effektiv gemeinsam über die Zentralbank zu tragen und so die Kreditko- BRENNPUNKT . Europa in der Krise sten hoch verschuldeter Länder unter Kon- trolle zu halten, reichte zwar bislang aus, doch die Frage ist: Wie lange noch? Selbst, wenn sich die Inflation im Euroraum in ab- sehbarer Zeit nicht erhöht: Früher oder spä- ter wird die EZB ihre Anreize verringern müssen, auch wenn sich schwächere Volks- wirtschaften noch keine höheren Schulden- tilgungen leisten können. Zusätzlich führt die stetige Aufweichung des Regelwerks der Anleihenkaufprogramme zu immer mehr rechtlichen Herausforderun gen. Erst Anfang Mai urteilte das deutsche Verfassungsgericht, dass die Käufe in meh- reren Punkten gegen das Grundgesetz ver- stoßen. Der EZB-Rat müsse nun in einem neuen Beschluss zeigen, dass das Programm verhältnismäßig sei. Ansonsten sei es der Bundesbank untersagt, nach einer Über- gangsfrist von höchstens drei Monaten an den Käufen teilzunehmen. Für EZB-Chefin Christine Lagarde und ihre Institution gibt es derzeit jedoch keine andere Wahl, als zu warten, bis die Politiker in Brüssel handeln. Ganz andere Probleme Die gegenwärtigen Zerwürfnisse weisen wieder einmal auf das grundlegende Dilem- ma hin: Sind die Mitglieder bereit, ihre Sou- veränität abzutreten, um sich zu einer Ein- heit zusammenzuschließen, die stark genug ist, um den USA, China, Russland und einem Coronavirus entgegenzutreten? Oder wollen sie ein Club unabhängiger Nationen bleiben und nur dann gemeinsam handeln, wenn es allen passt? Schon die Währungsunion sollte ihren Teil zur Konvergenz beitragen, hat aber stattdessen zu einer Divergenz und Po- larisierung zwischen einem Kern von Ex- portwirtschaften wie Deutschland und einer Peripherie von schuldenfinanzierten Nach- züglern wie Italien geführt. Eine vollstän- dige Fiskalunion mit massiver Umverteilung könnte viele dieser Probleme beheben, scheint heute aber unrealistischer denn je. Ohne größere Krisen kann eine solche Uni- on zwar noch lange bestehen bleiben, wird ihre Bedeutung jedoch allmählich verlieren. Auch, wenn dieser Niedergang nicht immer ersichtlich ist: Zeiten wie diese führen die tiefen Risse einmal mehr vor Augen. „Es braucht einen gemeinsamen Ansatz und Solidarität gegenüber denen, die am stärksten von der Krise betroffen sind!“ Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank „Es geht nicht, dass sozusagen die Schulden vergemeinschaftet werden.“ Angela Merkel, Bundeskanzlerin Deutschlands Gefährliches Nord-/Süd-Gefälle Die EU-Kommission weist auf die schwerste Rezession seit Bestehen der EU hin. Im Durchschnitt schrumpft das BIP der Eurozone heuer um 7,7 Prozent. Besonders hart trifft es den Süden. Quelle: Europäische Kommission -9% -10% -8% -7% -6% -5% -4% Erwartete BIP-Veränderung 2020 Credit: beigestellt, Europäische Kommission, Deutsche Bundesregierung 14 . GELD-MAGAZIN – Mai 2020
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