GELD-Magazin, Mai 2020
BRENNPUNKT . Europa in der Krise Wer soll das bezahlen? Die gegenwärtige Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen bringen wieder einmal die immanenten Spannungen in der Europäischen Union zutage. Stehen wir vor einer Wiederholung der Eurokrise von 2012? MORITZ SCHUH S chlechter hätte das Timing für Deutschland kaum sein können. 2020 sollte das Jahr werden, in dem die Bundesrepublik mit der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes am 1. Juli seine unge- schriebene Führungsrolle unter Beweis stel- len und die restlichen Mitgliedsländer auf einen gemeinsamen europäischen Weg ein- stimmen sollte. Mit dem Virus, das die Welt und die EU ins Chaos stürzte, sind nun nicht nur die meisten Planungen der Berliner Be- amten de facto Makulatur, sondern auch die Stimmung gegenüber Deutschland getrüb ter denn je. Während die von der Krise hart gebeutelten südeuropäischen Nationen da- rum bitten, Solidarität zu zeigen, schrecken Deutschland und einige seiner nordeuropä- ischen Nachbarn davor wieder einmal zu- rück. Die Pandemie nimmt immer mehr Züge der Eurokrise des letzten Jahrzehnts an. Waren es damals vor allem die Grie- chen, die gegen die EU und die Deutschen wetterten, beschwört die gegenwärtige Kri- se vor allem den Ärger der Italiener und Spanier herauf. Einer aktuellen Umfrage zu- folge, betrachten fast die Hälfte der Italiener Deutschland als feindselig und 67 Prozent stellen bereits die EU-Mitgliedschaft in Fra- ge. Auch der spanische Premierminister Pe- dro Sanchez warnt davor, dass das europä- ische Projekt, abgesehen von einem politi- schen Wunder, als Union scheitern werde. Ökonomischer Supergau Laut der Europäischen Zentralbank könnte die Wirtschaft des Euroraums in diesem Jahr um bis zu 12 Prozent schrumpfen und erst Ende 2022 wieder zu ihrem Vorkrisen- niveau zurückfinden. In einer Reihe von Szenarien prognostizierte die EZB eine un- gewisse Erholung von der Krise (siehe Gra- fik links unten). Das Bruttoinlandsprodukt dürfte sich im nächsten Jahr nur um vier bis sechs Prozent erholen. Bisher führten die europaweiten Lock Downs bereits zu einem durschnittlichen Produktionsrückgang von 3,8 Prozent in der Euroregion. Besonders betroffen davon sind die Südländer: In Ita- lien, das bereits Ende 2019 mit 135 Prozent des BIP mit einer der weltweit höchsten Schuldenlasten zu kämpfen hat, ging die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal um 4,7 Prozent zurück. Frankreich und Spani- en, die fiskalisch ebenfalls nur begrenzten Spielraum haben, meldeten einen Rückgang von mehr als fünf Prozent. Solidaritätskrise Die Krise stellt aber nicht nur die nationalen Wirtschaften sondern auch die Solidarität gehörig auf den Prüfstand. Noch bevor in- nenpolitische Maßnahmen, wie Social Di- stancing eingeführt wurden, schlossen die Mitgliedsstaaten instinktiv ihre nationalen „Europa als Ganzes schuldet Italien eine aufrichtige Entschuldigung!“ Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin Düstere Aussichten für die Eurozone Die Zentralbank prognostiziert, dass das Bruttoinlandsprodukt 2020 schlimmstenfalls um bis zu 12 Prozent schrumpfen könnte und bis 2022 ihr Vorkrisenniveau nicht mehr erreicht wird. Quelle: Europäische Zentralbank 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 positives Szenario mittleres Szenario negatives Szenario BIP-Veränderung p.a. 0% 5% -5% -10% Credit: beigestellt, Europäische Kommission, Europaparlament 12 . GELD-MAGAZIN – Mai 2020
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