GELD-Magazin, März 2020

Drohende „Grauslichkeiten“ I n Ratings wichtiger Wirtschaftswissen­ schafter taucht sein Namen schon seit geraumer Zeit in schöner Regelmäßig­ keit auf den vordersten Plätzen auf: Gabriel Felbermayr. Die Tageszeitungen „Presse“, „Frankfurter Allgemeine“ und „Neue Zürcher Zeitung“ küren alljährlich die 20 einfluss­ reichsten Ökonomen, wobei Felbermayr 2019 den achten Rang einheimste. Der ge­ bürtige Österreicher, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW), sprach mit dem GELD-Magazin über aktuell brennende Themen und langfristige ökonomische Ent­ wicklungen. So etwa über die Probleme rund um den Brexit, ei­ nen drohenden Handels­ konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Europa sowie die Gefah­ ren des Corona-Virus. In Folge der verschiedenar­ tigen Turbulenzen wird auch Österreichs Wirt­ schaft mit Einbußen rechnen müssen. Und nicht zuletzt scheint der Kampf gegen den Klimawandel laut dem Experten nicht ein­ fach zu werden: „Hier wurden von der EU ambitionierte Ziele gesetzt, die Pfade dafür aber nicht vorgegeben.“ Wie fällt Ihr Wirtschaftsausblick für Europa 2020 und darüber hinaus aus – wo liegen die größten Herausforde- rungen? Das heurige Jahr steht klar unter dem Zei­ chen deutlich abnehmender Industriepro­ duktion in Europa, was auch für Österreich gilt; in Deutschland sehen wir sogar eine In­ dustrierezession. Neben dieser Entwicklung kommt noch der schwächelnde Welthandel hinzu: Seine Wachstumsrate ist im Vorjahr preisbereinigt negativ ausgefallen, wobei für 2020 die Situation nicht viel besser aus­ sieht.WeitereHerausforderungenfürEuropa stellen natürlich der Brexit und die Handels­ beziehungen mit den USA dar. Bleiben wir zunächst beim Brexit, hier rechnet praktisch niemand damit, dass die Verhandlungen tatsächlich heuer unter Dach und Fach gebracht werden können... Das ist korrekt: Das Vertragswerk müsste so­ gar bereits bis September/Oktober abge­ schlossen sein, damit die na­ tionalen Parlamente die Rati­ fizierung bis Ende des Jahres durchführen könnten. Ein unwahrscheinliches Szenario. Stattdessen treten andere Va­ rianten in den Vordergrund: Erstens, dass die Verhand­ lungen um weitere zwei Jah­ re verlängert werden, was al­ lerdings Großbritannien aus­ geschlossen hat. Zweitens: Der fristgerechte Abschluss eines „Mini-Handelsvertrags“ bzw. vieler kleiner Verträge, in denen die Kernge­ biete des Marktzugangs und die ökono­ misch dringlichsten Fragen geregelt werden. Details könnten dann in Folge verhandelt werden. Wobei gegen diese Lösung spricht, dass eigentlich ein Gesamtpaket angestrebt wird. Drittens: Ein harter Brexit, der die WTO-Regeln zur Geltung bringen würde. Also die Variante, vor der man sich schon seit Langem fürchtet, die aber dennoch nicht unwahrscheinlich ist. Wie sehr wird Österreich unter dem Brexit leiden? Unabhängig von den zuvor geschilderten Szenarien gilt: Länder, die näher am Ver­ einigten Königreich dran sind, werden auch stärker beeinflusst. Irland wird der größte Verlierer sein, die „BIP-Schäden“ für Öster­ reich werden sich hingegen mit minus 0,1 bis 0,2 Prozentpunkten in Grenzen halten. Für Österreich haben wir übrigens für 2020 ein BIP-Wachstum von einem Prozent in un­ serem letzten Forecast genannt; in der nächsten Prognose-Runde rechne ich aller­ dings mit einer leichten Abschwächung auf 0,9 Prozent. Abseits vom Brexit haben Sie die „Han- delskriege“ angesprochen, was kommt da an „Grauslichkeiten“ noch auf uns zu? Vorweg muss man sagen, dass die Streitig­ keiten zwischen den USA und China zumin­ dest zum Teil vom Tisch sind, auch haben die Vereinigten Staaten Verträge mit Mexi­ ko und Kanada abgeschlossen. Trumps nächstes Ziel ist jetzt Europa, hier sehe ich Spannungen aufkommen. Als angekündigte „Grauslichkeit“ stehen bereits Auto-Zölle im Raum. Weiters wollen die USA Zölle als Kompensation der europäischen Subventio­ nen für Airbus, wobei noch in Schwebe ist, in­ wiefern nicht auch Boeing seitens der USA subventioniert wird. Das, aber auch der Steuerbereich, Stichwort geplante Digital­ steuer in Europa, bergen doch einiges an Eskalationspotenzial. Wie wahrscheinlich ist eine Eskalation? Angesichts des Wahljahres könnte Trump ja wieder einmal besonders laut auf den „Tisch hauen“... Das ist noch schwer einzuschätzen und hängt nicht zuletzt sozusagen vom politi­ schen Tagesgeschäft in den USA ab. Es 2020 könnte das Jahr werden, in dem der Handelskonflikt zwischen den USA und Europa so richtig heiß läuft. Auch das Corona-Virus bereitet Kopfzer- brechen, analysiert der Ökonom Gabriel Felbermayr. HARALD KOLERUS Erstmals seit Jahrzehnten könnte China aufgrund des Corona-Virus in diesem Quartal wieder in eine Rezession schlittern. “ 8 . GELD-MAGAZIN – März 2020 INTERVIEW . Gabriel Felbermayr, IfW Kiel Credit: IfW Kiel – Michael Stefan

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