GELD-Magazin, März 2020
N icht nur das Londoner U-Bahn- System ist weit verästelt und auf weiten Strecken immer wieder „under construction“. Auch die Brexit-Dis- kussionen und -Konflikte sind mit dem Aus- tritt Großbritanniens keineswegs zu einer Einbahnstraße geworden oder gar abge- schlossen. Jetzt erst geht es sozusagen ums Eingemachte. Fahrplan hält nicht Mit dem Goodbye der Briten hat sich zu- nächst nichts Wesentliches geändert, das Vereinigte Königreich wird bis Ende des heurigen Jahres so behandelt, als wäre es (bis auf eher unwesentliche Details) noch Mitglied der EU. Laut Fahrplan sollten die Vertragsverhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich bis 31. De- zember 2020 unter Dach und Fach sein, um eine Nachfolgeregelung für Zölle, Personen- verkehr usw. festzusetzen. Nur, daran glau- ben höchstens sehr glühende Opimisten. Zu komplex ist die Materie und zu groß sind die Interessenunterschiede, um in Rekord- zeit durchgepeitscht zu werden. Für eine re- alistische Einschätzung sorgen historische Vergleiche: Für CETA (EU-Kanada) brauch- te es sieben Jahre, für das Handelsabkom- men zwischen der EU und Japan vier Jahre. Am lateinamerikanischen Mercosur wurde sogar 20 Jahre gefeilt... Die Zeit drängt Der international renommierte Ökonom Ga- briel Felbermayr weist außerdem darauf hin, dass die Brexit-Verhandlungen in Wirk- lichkeit bereits im heurigen September, spä- testens Oktober abgeschlossen sein müssten, damit die fristgerechte Ratifizierung durch die nationalen Parlamente erfolgen kann. Sein Kommentar: „Ein unwahrscheinliches Szenario“ (siehe auch Interview mit Herrn Felbermayr auf Seite 8). Eine Meinung, der sich Harald Oberhofer, Außenhandelsexper- te von WU Wien und Wifo, im Gespräch mit dem GELD-Magazin anschließt: „Zwar gab es bereits ausführliche Verhandlungen und gemeinsame Regeln, ich glaube aber trotz- dem nicht, dass der Prozess heuer abge- BRENNPUNKT . Brexit Die „Reise“ geht weiter Selbst die wettbegeisterten Briten würden kaum auf einen Abschluss der Brexit- Verhandlungen bis Ende des Jahres tippen. Das beinharte Feilschen muss also höchstwahrscheinlich in die Verlängerung. Not amusing. HARALD KOLERUS VERHANDLUNGSABSCHLUSS Oktober 2019 BREXIT 31.01.2020 KEIN ABKOMMEN (NO-DEAL-BREXIT) So weit kam es nicht AUSTRITTSABKOMMEN / BEGINN ÜBERGANGSPHASE 01.02.2020 ENDE ÜBERGANGSPHASE 31.12.2020 NACHFOLGEABKOMMEN 01.01.2021 VERLÄNGERUNG ÜBERGANGSPHASE bis 31.12.2022 schlossen sein wird.“ Das eröffnet nun die Möglichkeit, dass die Verhandlungen nach dem Stichtag fortgesetzt werden, was recht- lich gesichert, aber politisch unwahrschein- lich ist. Denn Boris Johnson und Konsorten haben diese Lösung ausgeschlossen. „Kleine Lösung“ möglich Eine weitere Option ist laut Oberhofer und anderen Ökonomen ein Übergangsabkom- men, das die wichtigsten Ecksteine umfasst und die Kerngebiete desMarktzugangs regelt (etwa Zölle beim Status quo belassen). De- tails könnten nachverhandelt werden, zum Beispiel Fischereirechteunddie knifflige Fra- ge rund um den Zugang britischer Finanz- dienstleister zum europäischen Markt. Ober- hofer: „Die Finanzindustrie sorgt sozusagen für einenderHauptexporteGroßbritanniens. Kontinentaleuropäische KAGs haben wiede- rumüberschaubaresInteresseanKonkurrenz vonder Insel. EingutesBeispiel dafür,wieun- terschiedliche Interessen aufeinandertref- fen.“ Wenn sich die Kontrahenten nicht zu- sammenraufen können, droht Ende des Grafik-Quelle: WKO 10 . GELD-MAGAZIN – März 2020
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