GELD-Magazin, Dezember 2019 / Jänner 2020
Welche Rolle spielt die neue EZB-Chefin Christine Lagarde in dieser Entwicklung? Lagarde wird einen neuen Ansatz wäh- len müssen. Ihr Vorgänger Mario Draghi gab 2015 sein berühmtes „whatever it takes“-Versprechen und er tat alles, um die europäische Wirtschaft anzukurbeln. Rück- blickend betrachtet war aber auch das nicht genug. Wir haben zwar ein Wachs- tum bis zum Höhepunkt im Jahr 2017 gesehen, doch das war nur auf Quantitative Easing zurückzuführen. Unglücklicherwei- se entschied sich Draghi damals jedoch, das Anleihekaufprogramm zurückzuschrau- ben. Genau zum falschen Zeitpunkt, denn Trump holte 2018 zum Rundumschlag im Handelskrieg aus. So sah sich die EZB die- ses Jahr gezwungen, ihre QE-Maßnahmen wieder aufzunehmen und die Zinsen wei- ter zu senken. Aber auch das dient nur der Stabilisierung des Marktes, zögert das euro- päische Problem jedoch weiter hinaus. Wie könnte man das „europäische Problem“ in den Griff bekommen? Europas Problem kann nur mit einer Ankur- belung der Nachfrage gelöst werden. Einer der Wege wäre, dass die Regierungen end- lich anfangen, an einem Strang zu ziehen und Länder, die einen Budgetüberschuss genießen, die Eurozone durch fiskalpoli- tische Stimuli unterstützen. Welche Länder sehen Sie hier insbeson- ders in der Pflicht? Der größte Nachzügler in Europas Wirt- schaft ist ohne Zweifel Deutschland. Die Bundesrepublik erzielt mehr als 50 Pro- zent ihrer Wirtschaftsleistung durch Exporte – und diese werden durch die Handels- kriege stark beeinflusst. Trotzdem befindet sich Deutschland in der glücklichen Lage, einen Budgetüberschuss zu verzeichnen. Logisch wäre es daher, dass sich die deut- sche Regierung dazu durchringt, sich selbst und damit auch den Rest Europas durch eine expansivere Fiskalpolitik zu unterstüt- zen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Deutschland stark vomWachstum des Rests der Eurozone profitiert, da es auch in die europäischen Länder exportiert. Es ist also nur im eigenen Interesse, diese Staaten nun zu unterstützen. Und hier kommt Lagarde ins Spiel? Es wird in Europa schwierig werden, da es grundsätzlich eine Neuerfindung der Regeln für Deutschland bedeutet. Doch Lagarde’s Erfahrungen mit der Griechenland-Krise werden ihr helfen, die Finanzminister der verschiedenen Länder zu mobilisieren, um irgendeine Form von Wachstum in Gang zu bringen. Wenn nicht durch fiskalpolitische Stimuli, dann über einen anderen Weg, den sie sich überlegen müssen. Auf der mone- tären Seite hat Draghi durch das zeitlich unbegrenzte, aber auf 20 Milliarden pro Mo- nat beschränkte Anleihekaufprogramm, die Staffelung des Einlagezinses nach Banken, Bankengruppen bzw. Einlagestruktur und zwei, drei weitere Maßnahmen im QE-Pa- ket den Weg für Lagarde quasi bereitet. Hier wird sie nur mehr über die Länge und das Ausmaß entscheiden müssen. Bedeutet das, dass unter Lagarde die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik noch mehr verschwimmen könnten? Ja, ich denke, der Schritt, die Linie zwischen Geldpolitik und Einbeziehung der Regie- rungen zu übertreten, muss getan werden, um das Projekt der Eurozone zu retten. Wenn es jemanden gibt, der es schafft, die Mitglieder des EZB-Rats zu vereinen, eine klare Kommunikation der EZB mit den Zuhö- rern der Finanzbranche zu schaffen und die Finanzminister zur Zusammenarbeit zu mo- bilisieren, dann ist es Lagarde. Worin kann man in unsicheren Zeiten wie diesen Gewinn bringend und sicher investieren? Ich denke, es gibt noch genügend Wert in den Märkten! Nur weil bestimmte Segmen te heute überbewertet sind, darf man dem Rest nicht den Rücken zukehren. Innerhalb der Aktienmärkte sind Titel, die nach Qua- lität und Wert gefiltert werden, nach wie vor sehr attraktiv. Ich gehe daher davon aus, dass Qualitätsaktien mit hohen Dividen- den langfristig sehr gut performen werden. Auf der Rohstoffseite gibt es deutliche Un- terbewertungen bei den Industriemetallen, wie z.B. bei Kupfer und Nickel. Und selbst- verständlich wird das Kriseninvestment Nummer eins unterstützt – Gold! www.wisdomtree.eu Aneeka Gupta, WisdomTree | EXPERTSTALK CREDIT: beigestellt Aneeka Gupta, Associate Director of Research bei WisdomTree JÄNNER 2020 – GELD-MAGAZIN | 57
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