GELD-Magazin, Dezember 2019 / Jänner 2020
I n bemerkenswerter Regelmäßigkeit lassen amtierende Politiker mit „der größten Steuerreform aller Zeiten“ aufhorchen. Der Realitäts-Check zeigt allerdings: Die Taten, die den schönen Worten folgten, fielen in Österreich bis- her eher dürftig aus. So betrug die Abga- benquote (Steuern und Sozialversiche- rungsbeiträge) zwischen 2000 und 2009 stolze 43 Prozent; 2018 waren es 42,8 Prozent, heuer soll der gleiche Wert er- reicht werden. Nach einem „großen Wurf“ sieht das nicht aus. Genau einen solchen hatte auch Türkis-Blau versprochen, be- vor sie aus Ibiza unsanft gestoppt wurde. Einige der Maßnahmen treten dennoch bereits 2020 in Kraft, was halten Exper- ten von den unmittelbaren Auswir- kungen? Und welche Reformen sind da- rüber hinaus wünschenswert? NUR EIN KLEINER SCHRITT Margit Schratzenstaller, bekannte Ökonomin beim Wifo, meint gegenüber dem GELD-Magazin, dass die in 2020 wirksame erste Stufe der Steuerreform nur ein relativ kleines Volumen ein- nimmt: „Sie umfasst rund eine Milliar de Euro, wobei die Senkung der Kran- kenversicherungsbeiträge für Geringver- diener mit ca. 900 Millionen Euro den größten Brocken darstellt. Es ist auch tatsächlich sinnvoll, als erste Priori- tät Menschen zu entlasten, die nicht so viel verdienen, das kann auch konjunk- turell weiterhelfen.“ Die Wifo-Expertin wünscht sich unter anderem aber auch eine Ökologisierung des Steuersystems, diese sei im türkis-blauen Paket nicht ausreichend berücksichtigt worden (sie- he Interview auf der rechten Seite). Die Bekämpfung der kalten Progres- sion hält Schratzenstaller für grundsätz- lich eine gute Idee, sie fügt allerdings hin- zu: „Ich verstehe aber nicht, warum das oberste Priorität genießen sollte, es gibt andere Ungleichgewichte im heimischen System, die frappierender ausfallen.“ An erster Stelle sieht sie hier die Tatsache, dass der Faktor Arbeit bei unteren und mittleren Einkommen zu hoch belastet ist. Eine Entlastung könnte durch Ver- mögenssteuern, Stichworte: Grund- und Erbschaftssteuer, gegenfinanziert wer- den. Schratzenstaller: „Auf diesem Ge- biet gibt es noch Spielraum, wobei alle Reformen unter dem Strich aufkom- mensneutral ausfallen sollten.“ „REFORMDRUCK“ Lukas Sustala, Steuer- und Budget experte beim Think-Tank Agenda Aus- tria, sieht die nächste Regierung (wie im- mer sie zusammengesetzt sein wird) fis- kalpolitisch unter Reformdruck: „Das legt der Wirtschaftsausblick nahe: Im Vergleich zur jüngeren Vergangenheit wird die Konjunktur 2020 und 2021 schwächer ausfallen. Deshalb ist eine schnellere Entlastung wichtig. Die ge- CREDITS: beigestellt/Archiv WIRTSCHAFT | Steuerreform Seit Jahr und Tag fordern Politiker praktisch aller Farbschattierungen eine Entlastung des Faktors Arbeit. Aller- dings hat sich hier trotz schöner Reden nicht wirklich Weltbewegendes getan. Auch bei der Ökologisierung des Steuersystems wird mehr gesprochen als gehandelt. Es wird höchste Zeit, dass die neue Regierung, wie immer sie aussehen mag, diese Baustellen in Angriff nimmt. Harald Kolerus Wunschzettel an den Fiskus WIE STARK DER FAKTOR ARBEIT BELASTET IST Je höher die Einkommen, desto „saftiger“ fällt die Belastung aus. Besserverdiener müssen mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Abgaben und Steuern aufwenden. Bei Menschen, die keine Großverdiener sind, schlagen vor allem die Lohn-Nebenkosten eine tiefe Bresche in die Geldbörse. Gefordert wird daher ein Entlastung des Faktors Arbeit. Quelle: Eigene Berechnungen, Statistik Austria (2018). Anmerkung: Alle dargestellten Datenpunkte entsprechen je den mittler n Einkommen der eschäftigten. Das mittlere Einkommen des Facharztes gemäß des allgemeinen Einkommensberichts. Die übrigen Angaben für ganzjährig B schäft gte. Alle An aben für Männer und Frauen zusammen. Darstellung ohne N gativsteuer. Wie stark der Faktor Arbeit belastet ist – Anteil der Steuern und Abgaben in Prozent der Arbeitskosten, Bruttoeinkommen in Euro 0 2.000 3.000 4.000 1.000 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000 10.000 Angestellte: 48,7 % 3.468 Euro Höchstbeitrags- grundlage SV: 52,6 % 5.220 Euro Arbeiter: 44,7 % 2.369 Euro Beschäftigte in Teilzeit: 36 % 1.349 Euro Sozialversicherung Arbeitnehmer Lohnsteuer Beiträge und Steuern Arbeitgeber Facharzt: 51 % 6.668 Euro Bruttomonatseinkommen Anteil der Steuern undAbgaben in Prozent derArbeitskosten,Bruttoeinkommen in Euro Quelle:AgendaAustria–EigeneBerechnungen,StatistikAustria (2018). 18 | GELD-MAGAZIN – JÄNNER 2020 Lohnsteuer Sozialversicherung Arbeitneh er Beiträge und Ste er r i
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