GELD-Magazin, November 2019
B ekannt für seine Gabe, kom- plexe gesellschaftliche Fragen mit Witz und Eloquenz einer breiten Masse zugänglich zu machen, füllt der deutsche Philosophie-Popstar Richard David Precht regelmäßig Fern- sehstudios und Veranstaltungshallen. So geschehen auch Anfang November in Wien, als er in der zum Bersten gefüllten Grand-Hall des Erste Bank Campus die jährlich stattfindenden „Digital Days“ der Stadt eröffnete. Der Blick in die Zukunft, den der Bestsellerautor dort mit auf den Weg gab, dürfte auch dem einen oder an- deren Zuhörer des Hauses die Sorgenfal- ten auf die Stirn getrieben haben. Geht es nach Precht, dann befinden wir uns nämlich gegenwärtig am Anfang der zweiten großen industriellen Revolu- tion, die nach der menschlichen Hand nun auch das menschliche Gehirn zu ersetzen vermag und damit weit mehr als reine Effizienzsteigerungen zur Fol- ge haben wird. So wie der technologische Sprung zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine neue Blaupause von Gesellschaft, namens bürgerliche Leistungs- und Lohnarbeitsgesellschaft, einläutete, wird auch das zweite Maschinenzeitalter ein neues gesellschaftliches Betriebssystem nach sich ziehen. DIVERGIERENDE THEORIEN Für die Zukunft der Arbeit beschreibt er dann zwei einander widersprechende Positionen: die Kompensationstheorie und die Freisetzungstheorie. Erstere be- sagt, dass technischer Fortschritt lang- fristig immer mehr neue Arbeit schafft als alte vernichtet wird. Die Freiset- zungstheorie hingegen, dass dies nur bei gleichzeitigemWachstum der Märkte gilt, da es andernfalls zu einem Kaufkraftver- lust und einer Absatzkrise kommt. DIGITALE BEDROHUNG Precht, als Verfechter der Freiset- zungstheorie, bestätigt zwar, dass in Zu- kunft eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze, etwa im IT-Sektor, geschaffen werden, je- doch sieht er gleichzeitig die Komplexität dieser Tätigkeiten in ungekanntem Aus- maß zunehmen. Einfache Programmier- arbeiten werden beispielsweise selbst zu den ersten Opfern der Digitalisierung zählen. Was nach der bevorstehenden „Algorithmisierung“ noch übrig bleibt, sind höchstqualifizierte Jobs im IT-Sek- tor, höchstrangige Dienstleistungsbe- rufe im quartären Sektor, Handwerks- berufe und sogenannte Empathieberufe, wie Lehrer, Pfleger oder Coaches, bei de- nen man einfach nichts mit Robotern zu tun haben möchte. Alles andere, was kein spezifisches Talent erfordert und erlernt werden kann, ist potenziell von der Digitalisierung bedroht – insbeson- dere je hochrangiger der Posten ist. Es sind nämlich nicht, wie häufig angenom- men, die Niedriglohntätigkeiten, sondern hochbezahlte Jobs, wie beispielsweise Juristen oder Finanzdienstleister, die das größte wirtschaftliche Einsparungs- potenzial bieten und daher, laut Precht, als erste wegrationalisiert werden. LÖSUNGSMÖGLICHKEITEN Fehlt es den Freigesetzten dann an Talent, Einfühlungsvermögen oder BRENNPUNKT | Bedingungsloses Grundeinkommen 12 | GELD-MAGAZIN – November 2019 Mit dem ungebremsten Fortschritt von Künstlicher Intelligenz und Automatisierung macht sich weltweit die Angst vor massiven Jobverlusten breit. Aber was würde das Eintreten dieses Szenarios für unsere Gesell- schaft bedeuten? Und ist ein bedingungsloses Grundeinkommen die Lösung, um nicht ins Chaos zu stürzen? Moritz Schuh Das Ende der Lohnarbeit Die Ergebnisse eines finnischen Grundeinkommen-Projekts zeigen, dass sich das Wohlbefinden der Empfänger verbesserte und keine Auswirkungen auf die Anstellungsverhältnisse festgestellt wurden. PILOTPROJEKT: GRUNDEINKOMMEN IN FINNLAND Versuchs- gruppe Versuchs- gruppe Versuchs- gruppe sehr gut gut mittel schlecht sehr schlecht weiß nicht weiß nicht sehr hoch relativ hoch mittel relativ niedrig keiner Selbsteinschätzung des eigenen Gesundheitszustands Wahrgenommenes Maß an Stress Zu viel Bürokratie bei der Inanspruchnahme von Sozialversicherungsleistungen ja nein weiß nicht Versuchs- gruppe Kontroll- gruppe Kontroll- gruppe Versuchs- gruppe Kontroll- gruppe Kontroll- gruppe Kontroll- gruppe Beurteilung des eigenen Wohlbefindens in der Versuchsgruppe und der Kontrollgruppe Wahrnehmung der Bürokratie bei Inanspruchnahme von Sozialleistungen Beschäftigungstage im Durchschnitt 2017,Anzahl der Tage Einkommen aus Beschäftigung total 2017 in Euro Einkommen aus Beschäftigung in der Versuchsgruppe: -21 Euro Beschäftigungstage der Versuchs- gruppe: +0,39 QuelleundCopyright:KELA
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