GELD-Magazin, Oktober 2019
den britischen Spitzenpolitikern der ver- gangenen Jahrzehnte. Immerhin über 30 Prozent bezeichnen ihn als „fähige Führungspersönlichkeit“, womit er die Ex-Premiers David Cameron, Gordon Brown, aber auch die Eiserne Lady Mar- garet Thatcher in den Schatten stellt. „MANN VON DER STRASSE“ Besonders interessant ist aber fol- gendes Ergebnis aus derselben Umfrage: Mehr als 20 Prozent halten ihn für „ehr- licher als die meisten anderen Politiker“. Nur John Major und Thatcher genießen bei dieser Fragestellung bessere Werte. Vielleicht liegt hier ja auch der Schlüssel zum Erfolg des Boris Johnson. Weil er oft so spricht, wie ihm der Schnabel gewach- sen ist, erscheint er authentisch, was gerne mit ehrlich assoziiert wird. Und Wutausbrüche wie die Episode mit dem Londoner Taxler lassen ihn als Mann von der Straße erscheinen, als Durch- schnittsbürger (trotz Eton und Oxford), dem eben einmal der Kragen geplatzt ist. Dieser völlige Verlust von „message con- troll“ kommt offensichtlich in der Bevöl- kerung gut an. Boris ist eben „einer von uns“, könnte man meinen. Dieses be- wusste oder unbewusste Auftreten er- innert nicht zuletzt an Donald Trump, der sich bekanntlich ebenfalls kaum ein Blatt vor den Mund nimmt. Rüpel-Poli- tik in Vollendung, wie gut das wirklich ankommt, werden sowohl Johnson als auch Trump bei den nächsten Wahlen unter Beweis stellen müssen. ELITE-BEWUSSTSEIN Eindeutig ist, dass Johnson – seinen volksnahen Auftritten zum Trotz – von Elitedenken und Machtstreben geprägt ist. Er hat nichts anderes gelernt. Ob der Brexit nun ungeregelt verläuft oder nicht, Hauptsache der politische Vorteil winkt. Die Brechstangen-Politik scheint vie- len britischen Wählern nicht unsympa- thisch zu sein, Boris’ Rechnung könnte bei künftigen Urnengängen durchaus aufgehen. Vielleicht schafft er es ja, wenn schon nicht zum „König der Welt“, wie- der zum Premier von England. Übrigens hat Johnsons Alma Mater Oxford auch sechs Heilige als Absolventen vorzuwei- sen. Eher unwahrscheinlich, dass Boris in deren Fußstapfen treten wird. Oktober 2019 – GELD-MAGAZIN | 13 Porträt Boris Johnson | BRENNPUNKT „ÄHNLICH WIE DÜNKIRCHEN“ Boris Johnson ist für seine, drücken wir es vornehm aus, etwas seltsamen Sager berühmt- berüchtigt. So kommentierte er das 60. Thronjubiläum der Queen mit den Worten: „Wie Dünkirchen, nur etwas spaßiger.“ – Die Schlacht von Dünkirchen zwang im Zweiten Welt- krieg rund 340.000 alliierte Soldaten zur überstürzten Flucht nach England. – Am ehema- ligen US-Präsidenten Barack Obama monierte Johnson dessen „kenianische Herkunft“, was allerdings absoluter Nonsens ist. Hillary Clinton verglich er mit einer „sadistischen Krankenschwester in einer Irrenanstalt“. – Was die Frage aufdrängt: Hat Johnson eine Psychiatrie vielleicht schon von innen gesehen? – Die Terroristen des Islamischen Staates bezeichnete er als sexuell frustriert und „schlimme Onanisten“. Woher der Poli- tiker das wissen will, bleibt ungeklärt. Ein Streitgespräch mit einem Londoner Taxifahrer beendete er mit den Worten: „Verpiss dich und stirb.“ Nicht die feine englische Art… 500 MILLIONEN PRO WOCHE Welche Kosten der Brexit dem Vereinigten Königreich auferlegt, ist schwer einzuschät- zen und auch eine Frage der Berechnung. Eine Studie des Centre for European Re- form aus 2018 kommt auf 500 Millionen Pfund (563,51 Mio. Euro) pro Woche, was hochgerechnet 2,5 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung entsprechen würde. Das deutsche IFO zieht den Schluss, dass je nach Ausmaß der handelspolitischen Abschottung das reale BIP je Einwohner Großbritanniens im Jahr 2030 zwischen 0,4 und 1,7 Prozent geringer ausfallen könnte als bei einem Verbleib in der EU. „Fuck off and die!“, rief Johnson einem Taxi- fahrer nach. Die Wähler verzeihen das.
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