GELD-Magazin, Oktober 2019
Blase eine Bilanzentwertung, die rela- tiv zum BIP dreimal größer war als jener Verlust, der die USA während der großen Depression ereilte. Im Vergleich zur Re- duktion des US-BIP um 46 Prozent wäh- rend der 1930er-Jahre fiel Japans Brut- toinlandsprodukt jedoch niemals un- ter den Wert zu Zeiten des Höhepunkts der Blase – und auch die Arbeitslosigkeit stieg nicht annähernd so stark wie in der der damaligen US-Krise. Der Grund da- für war, dass der massive Schuldenab- bau des Privatsektors durch öffentliche Verschuldung und Investitionen abge- fangen wurde. Noch heute leiden Japans Firmen zwar unter dem Trauma der Kri- se und weigern sich noch immer, sich weitgehend zu verschulden, doch zu- mindest die Gesamtwirtschaft blieb so- mit von schlimmeren Verwerfungen ver- schont. KEINE ANGST VOR SCHULDEN Mit dem Trend der Entpolitisierung der Konjunkturzyklen in den 1990er- Jahren kam es zu einer weitreichenden Ablehnung Keynesianischer Nachfrage- steuerung und stattdessen zu einer Auf- wertung der Rolle unabhängiger Zentral- banken, die fortan die Stricke der Wirt- schaft über Zinssätze steuern sollten. Die im Maastricht-Abkommen veran- kerten Schuldenobergrenzen und Haus- haltsvorgaben verhindern laut Koo bis heute den Einsatz notwendiger expan- siver fiskalpolitischer Maßnahmen, die anders als die gegenwärtigen Quantita- tive Easing-Bemühungen (QE) eine di- rektere Wirkung auf das Investitions- verhalten hätten. Wie Koo es beschreibt: „QE produzierte eine Inflation der Asset-Preise an der Wall Street, ohne Durchsi- ckerung-Effekt auf die Main Street.“ Nicht die Zentralbank als „lender“, sondern der Staat als aktiver „borrower of last resort“ ist damit notwendig, um die Lücke der Kreditnehmer zu schließen und so die europäische Wirtschaft anzu- kurbeln. In einem Umfeld einer „Balan- ce Sheet Recession“ sollten sich die Re- gierungen der Eurozone daher auch kei- COVERSTORY | Rezessionsgefahr und Japanifizierung 10 | GELD-MAGAZIN – Oktober 2019 Der Markt sendet gerade gemischte Signale. Wäh- rend die inverse Zinskurve auf eine bevorstehende Rezession hindeutet, scheinen die Börsen dieses Szenario (noch) zu ignorieren. Worauf können wir uns vorbereiten? Ich denke, die Aktienmärkte haben mittlerweile auch in der Bewertung, etwa beim Kurs-Gewinn-Verhält- nis, aber auch bei den Gewinnaussichten für 2020 die Wahrscheinlichkeit für eine konjunkturelle Abkühlung – spätestens seit den schwachen ISM-Daten in den USA – in den letzten Tagen besser eingepreist. Die Positionie- rung und die Stimmung der Anleger, vor allem in Europa, hat schon früher „reagiert“. Der Status quo einer milden, kurzen Rezession ist hier eingepreist. Wenn sich dieser jedoch als zu optimistisch heraus- stellt und es zu einer deutlicheren weiteren Abschwächung kommt, kann es durchwegs in den nächsten Monaten noch zu einem Ruck nach unten kommen. Die Parallelen Europas zu Japan seit den 1990er-Jahren sind frappierend. Befinden wir uns in einer Japanifizierung Europas? Ja, ich sehe durchaus Ähnlichkeiten, wie das schwache Wachstum, die niedrige Inflation und Renditen – aber auch die ständige Bilanz- verlängerung der Notenbank. Anders in den USA, dort sind Wachstum und vor allem Produktiviät deutlich besser als in Europa und Japan. Was können wir aus den Fehlern Japans lernen? Bedarf es einer koordinierten Fiskalpolitik, um eine fortschreitende Balance Sheet Recession abzuwenden? Der Ersparnisüberschuss ist durchaus auch hierzulan- de ein Problem, aber im Unterschied zu Japan war und ist der Bankensektor weit stabiler als nach der Krise in den 1990ern. Ich denke aber, wenn man an die „Mo- dern Monetary Theory“, v.a. geldschöpfungsfinanzierte Ausgabenprogramme, glaubt, dann wäre jetzt der rich- tige Zeitpunkt, ihre Wirksamkeit in der Praxis zu testen. Die Geldpolitik mit ihren Negativzinsen stößt langsam an ihre Grenzen. Was sind die Folgen der anhaltenden Negativzinsen? Die negativen Auswirkungen betreffen insbesondere die Banken, da sie Negativzinsen nur begrenzt an Sparer weitergeben können. Prinzipiell sind Negativzinsen aber auch schädlich für die private Altersvorsorge, zumindest solange die derzeitigen Vorgaben für Versi- cherungen und Pensionskassen gelten. Welche Folgen erwarten Sie von den letzten Entwicklungen im Handel? Eine Zuspitzung des Konflikts zwischen den USA und der EU ist durch- aus möglich, sollte die EU Vergeltungsmaßnahmen setzen. Reagiert die EU aber „besonnen“, wie es z. B. Forschungsinstitute in Deutsch- land empfehlen, werden sich die Auswirkungen in Grenzen halten. Mit unter zehn Milliarden bei insgesamt knapp 450 Milliarden Dollar an Importen der USA aus der EU ist das Volumen überschaubar. Selbst in den USA hinterlassen die Konflikte mittlerweile „Bremsspuren“ in den Konsumausgaben und der privaten Investitionstätigkeit. Eine Ver- härtung des Konflikts ist für niemanden förderlich. Dr. Ernst Konrad, Eyb & Wallwitz | INTERVIEW CREDIT: beigestellt,Vlad/stock.adobe.com
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