GELD-Magazin, September 2019

I n Österreich drohe der Pflegenot­ stand, ist überall zu lesen. Nun fin­ den aber angekündigte Katastrophen nur selten statt. Jedoch sollten sie ein Aufrütteln bewirken und uns vor Augen führen, dass die Lage nicht hoffnungslos, aber ernst ist. Die hohe Dringlichkeit einer Reform in diesem Bereich ist auch arithmetisch nicht mehr wegzuleugnen. Das freie Spiel der Kräfte im Parla­ ment machte zwar zumindest die Valo­ risierung des Pflegegeldes ab 2020 mög­ lich, die den Staat rund 50 Millionen Euro pro Jahr kosten wird, aber dies ist nur eine kleine Einzelmaßnahme. Not­ wendige Unterstützungen im Pflegebe­ reich werden in Zukunft noch beträcht­ lich teurer. Berechnungen zufolge wird sich die Zahl der Pflegegeldbezieher von heute 460.000 bis 2050 noch einmal ver­ doppeln. Laut WIFO werden 58.000 zu­ sätzliche Pflegekräfte benötigt. Hinzu kommen heute 950.000 pflegende Ange­ hörige, die das Rückgrat der Pflege bil­ den, bislang jedoch wenig Unterstüt­ zung vom Staat erhalten. „Diese Zahlen vor Augen machen klar, dass es politisch einen großen Wurf braucht, der nicht durch Einzelmaßnahmen, wie der Ab­ schaffung des Pflegeregresses (siehe Kas­ ten auf Seite 78) und der Valorisierung, ersetzt werden kann“, erklärt Alexander Bodmann, Vorstandsmitglied der Cari­ tas. Bodmann sieht für einen Master­ plan drei Punkte, die umgesetzt werden sollten. Erstens geht es um eine flächen­ deckende und leistbare Unterstützung der Betroffenen selbst (Finanzierung). Zweitens um eine bestmögliche Beglei­ tung der pflegenden Angehörigen durch mobile Dienste und drittens um die Stär­ kung des Pflegeberufes insgesamt. UNTERSCHIEDLICHE KONZEPTE DER WAHLWERBENDEN PARTEIEN Die Divergenzen der wahlwerbenden Parteien könnten dabei kaum größer sein, wenn es um den Entwurf eines tragfähigen Finanzierungsmodells geht, und erhöhen damit die Zweifel an einem schnell realisierbaren Masterplan. Das ÖVP-Konzept sieht vor, dass in Zukunft die Finanzierung der Pflege durch eine fünfte Säule der Sozialversicherung (ne­ ben Kranken-, Pensions-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung) gewährleistet werden soll – aufgebaut nach dem Vor­ bild der Kranken- und Pensionsversiche­ rung und eingebettet in die AUVA. Alle anderen Parlamentsparteien leh­ nen diesen Vorstoß der ÖVP ab. „Das kann die ÖVP doch nicht ernst meinen! Selbst wenn die AUVA einspart, müssten die Beiträge und damit die Lohnneben­ CREDIT: js-photo/stock.adobe.com VORSORGE | Seniorenbetreuung 78 | GELD-MAGAZIN – SEPTEMBER 2019 Die steigende Überalterung macht das Thema „Finanzierung und Organisation der Altenpflege“ zu einem der dringendsten Themen der Innenpolitik. Der einzige Konsens unter den Parteien besteht darin: Es braucht ei- nen Masterplan. Die konkreten Vorstellungen über einen solchen klaffen jedoch weit auseinander. Christian Sec Pflegenotstand FINANZIERUNG EINES PFLEGEPLATZES Neben dem Pflegegeld, der Pension oder Rente wird auch das sonstige Einkom­ men des Pflegebedürftigen zur Deckung der Heimkosten herangezogen (seit Anfang 2018 aber nicht mehr das Ver­ mögen, s. Pflegeregress auf Seite 80). Wenn das Einkommen zur gänzlichen Abdeckung der Heimkosten nicht aus­ reicht, kommt meist die Sozialhilfe bzw. die Mindestsicherung für den Restbetrag auf. In diesem Fall verbleiben dem Heim­ bewohner monatlich als „Taschengeld“ 20 Prozent der Pension samt Sonder­ zahlungen plus 45,20 Euro Pflegegeld. Der Mangel wird deutlich: Die Anzahl der stationären Pflegeplätze sinkt relativ gesehen zum steigenden Bedarf, die Mobilen Dienste werden zunehmend überfordert. STATIONÄRE PFLEGE UND BETREUUNG DURCH MOBILE DIENSTE IN ÖSTERREICH WIRD KNAPPER RelativeVersorgung 1996,2008 und Hochrechnung 2020 Stationäre Pflege: Plätze pro 1.000 Einwohner 75+ Mobile Dienste: Einsatzstunden pro Einwohner 75+ 140 120 100 80 60 40 20 0 1996 2008 2020 125,7 15,1 94,0 21,6 91,9 26,4 Quelle:Sozialministerium

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