GELD-Magazin, September 2019

HELIKOPTERGELD ALS ULTIMA RATIO Doch was passiert, wenn die poli- tischen Brandbeschleuniger wirklich Feuer fangen und die Eurozone in eine tiefe Rezession abgleitet? Für diesen Ex- tremfall dürften die angeführten Maß- nahmen nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Die einzig verblei- bende Lösung hieße dann wohl „going di- rect“! Mittels einer Art „Volks-QE“ wür- de man höchstwahrscheinlich versu- chen, Zentralbankgeld direkt an die öf- fentlichen und privaten Konsumenten zu verteilen. Diese Idee ist nicht neu und wurde bereits 2002 vom ehemaligen Fed- Chef Ben Bernanke unter dem besser be- kannten Namen „Helikoptergeld“ ins Ge- spräch gebracht. Dass eine solche Extremmaßnahme nicht mehr ganz so undenkbar erscheint, beweist ein Ende August von BlackRock veröffentlichtes Paper mit dem Namen „Dealing with the next downturn: From unconventional monetary policy to un- precedented policy coordination“. Phi- lipp Hildebrand, Vizevorsitzender bei BlackRock und ehemaliger Präsident der Schweizerischen Nationalbank, be- schreibt darin mit seinen Koautoren Elga Bartsch, Stanley Fischer (Fed und Bank of Israel) und Jean Boivin (Bank of Ca- nada) ein neues Zentralbankregime im Umfeld negativer Zinsen. Mittels enger Kooperation zwischen Fiskal- und Geld- politik wird eine sogenannte „Standing Emergency Fiscal Facility“ empfohlen, die unter bestimmten Umständen pro- duktive fiskalpolitische Eingriffe zur Er- reichung eines klar definierten Infla- tionsziels finanzieren soll. Dies wäre ein permanentes Instrument, das jedoch nur aktiv würde, wenn die Geldpolitik an ihre Grenzen stößt und die Inflationsziele gleichzeitig nicht erreicht werden. Die Idee ist, dass alleine die Einrichtung und Kommunikation dieses Instruments aus- reichen würde, um die nötigen Markt- stimuli zu liefern. SCHWIERIGES ERBE In einem Interview mit Bloomberg betonte Hildebrand, dass er Europa als erstes Versuchskaninchen und die Wahl Christine Lagardes als Glücksgriff für diesen Vorschlag sieht: „Für dieses Um- feld, falls wir uns zu einer solchen Politik hinbewegen, ist Christine Lagarde einzig- artig qualifiziert.“ Die Grande Dame, wie sie während ihrer Zeit beim Internationalen Wäh- rungsfonds genannt wurde, weckt auch bei vielen anderen Hoffnungen, dass sie mit ihrem diplomatischen Geschick in der Lage sein könnte, die viel tiefgreifen- deren Reformen der europäischen Wäh- rungsunion in Angriff zu nehmen: die Vollendung der Kapitalmarkt- und Ban- kenunion, eine stärkere Koordinierung der Finanzpolitik, gemeinsame Stabili- sierungsmechanismen und ganz beson- ders die Verbesserung der Kommunika- tion mit den Regierungen, aber auch mit den Bürgern, um so die nationalen Re- formwillen in Gang zu setzen. Obwohl dies in Anbetracht der immer stärkeren Polarisierung der Mitgliedsländer zum schwierigen Unterfangen werden dürf- te, könnte mit der Bestellung der ehe- maligen französischen Finanzministe- rin über die Hintertür ein fiskalpoliti- sches Gegengewicht im EZB-Gremium geschaffen worden sein. Sie könnte mit ihrer informellen Art und kommunika- tiven Skills die Eurozone aus der Krise manövrieren. BRENNPUNKT | Geldpolitik in der Krise 14 | GELD-MAGAZIN – SEPTEMBER 2019 ALLE AUSSER DEUTSCHLAND MACHEN SCHULDEN Trotz Negativzinsen vermeidet Deutschland ein Schuldenmachen. Stär- kere fiskalpolitische Impulse würden die Geldpolitik aber entlasten. EUROZONE HAT DEN HÖCHSTEN EXPORTANTEIL Als stiller Zuseher wandert die Eurozone „nackt“ in den Handelskrieg – ihr riesiger Exportsektor macht sie besonders anfällig. Quelle: tradingeconomics.com Quelle:Statista Budgetsaldo 2018 Exportanteil in Prozent des BIP 2018 „ Wir werden eine Regimeänderung in der Geldpolitik sehen wie vor und nach der Krise. “ Philipp Hildebrand, BlackRock „Wenn die Leute wissen, dass du eine Bazooka hast, dann musst du sie womöglich gar nicht erst verwenden.“ Henry Paulson, ehemaliger US-Finanzminister Eurozone USA Japan China 30% 20% 10% 0% Frankreich Deutsch- land Italien Spanien USA -2,1% -2,5% -3,8% +1,7% 28% 13% 17% 19% 2% 0% -2% -4% -2,5% CREDITS: en.wikipedia.org

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