GELD-Magazin, September 2019
auch auf viele benachbarte Länder wie die Slowakei, Ungarn oder Polen auswir- ken. Und die Kollateralschäden könnten sogar noch weiter zunehmen, wenn Prä- sident Donald Trump seine Warnungen wahr macht und beginnt, Zölle auf euro- päische Autoimporte einzuheben. Aufgrund dessen und wegen der immer noch schwachen Inflation in der Eurozone sind die Erwartungen, dass die EZB bei ihrer nächsten Sitzung Mitte September die Zinsen noch weiter in den Negativbereich senken und das ausge- setzte Anleihekaufprogramm wieder auf- nehmen wird, in den letzten Wochen wie- der deutlich gestiegen. WENIG SPIELRAUM Ob das bei einem Abrutschen in eine Rezession tatsächlich genügen wird, ist fraglich. Neben dem geplanten „more of the same“ hat die Europäische Zentral- bank nur noch ein paar Asse im Ärmel, bevor sie zu deutlich drastischeren Mit- teln greifen könnte. Der nächste Schritt nach der derzeit anvisierten Senkung der Einlagenfazili- tät dürfte ein Schrauben an der Haupt- und der Spitzenrefinanzierungsfazilität sein. Auch eine Differenzierung des Ein- lagezinses nach Banken- bzw. Banken- gruppen oder Einlagenstruktur, soge- nanntes „Tiering“, wäre denkbar und würde die Belastungen für anfällige Institute verringern, während man bei anderen Geldhäusern noch tiefer in den negativen Bereich gehen könnte. Neben der fast sicheren Wiederauf- nahme des Anleihekaufprogramms steht auch die Möglichkeit des Erwerbs von unbesicherten Bankschuldverschrei- bungen und Aktien im Raum. Erstere waren vom bisherigen Wertpapieran- kaufprogramm des Unternehmenssek- tors (CSPP) ausgeschlossen, da nur Co- vered Bonds, die in der Regel durch Hy- potheken besichert waren, dafür zuläs- sig sind. Käufe von vorrangigen Anlei- hen wären jedoch ein effektiver Weg, um Banken zu schützen, deren Gewinne durch weitere Negativzinsen zu stark be- lastet würden. Dem gegenüber steht je- doch ein möglicher Interessenkonflikt, der sich aus der Rolle der EZB bei der Bankenregulierung ergeben würde. Die Überlegungen im Falle von Ak- tienkäufen wären eine direktere Stimu- lierung des Haushaltskonsums – be- sonders vermögender Haushalte – und die finanzielle Unterstützung der euro- päischen Unternehmen zur Finanzie- rung von Investitionen. Wie am Beispiel der Bondmärkte aber zu sehen ist, ist der gewünschte Effekt jedoch in Relation zu den Risiken einer ähnlichen Blasen- bildung auf den Aktienmärkten äußerst umstritten. BRENNPUNKT | Geldpolitik in der Krise 12 | GELD-MAGAZIN – SEPTEMBER 2019 CHRISTINE LAGARDE SOLL’S WIEDER RICHTEN Christine Madeleine Odette Lagarde’s Lebenslauf liest sich wie eine Aneinanderreihung von Pionieraufgaben. In jungen Jahren reüssierte die heute dreiundsechzigjährige Pariserin als Synchronschwimmerin im französischen Nationalteam. Nach dem Rechtsstudium begann sie ihre Karriere in der amerikanischen Anwaltskanzlei Baker & McKenzie, wo sie zur ersten weiblichen Vorsitzenden des Unternehmens aufstieg. Nach einem zwischenzeitlichen Auf- enthalt in den USA verließ die zweifache Mutter 2005 die Kanzlei, um erste Schritte am politischen Parkett zu wagen. Von anfänglichen Posten als Handels- und später Landwirt- schaftsministerin stieg die gesundheitsbewusste Vegetarierin innerhalb von zwei Jahren zur ersten Finanzministerin eines G7-Landes auf. Nach dem Skandal und Rücktritt ihres Lands- manns Dominique Strauss-Kahn gab sie 2011 ihre Bewerbung für die Präsidentschaft des Internationalen Währungsfonds bekannt, dessen Posten sie anschließend als erste Frau der 1944 gegründeten Institution besetzte. Während dieser Zeit fand Lagarde sich nicht nur im Zentrum einer, sondern gleich mehrerer schwerwiegender internationaler Krisen wieder, die ihr den Ruf als knallharte, aber diplomatische Verhandlerin einbrachte. Gleichzeitig öffnete sie den Fonds für Themen wie wirtschaftliche Inklusion, Geschlechtergerechtigkeit, Ungleichheit, Armut und Umweltschutz, die bis zu ihrer Ära kaum eine Rolle spielten. Ihre beim IWF gewonnene Erfahrung und ihr Netzwerk qualifizieren sie als Nichtökonomin bes- tens für ihre nächste Rolle: als erster weiblichen Präsidentin der Europäischen Zentralbank. „Wenn man mit Finanzmärkten arbeitet, ist es oft besser, über das Ziel hinauszu- schießen, als es zu verfehlen “ Olli Rehn, Gouverneur der Finn. Zentralbank CREDITS: stock.adobe.com -WOLFGANG RATTAY / REUTERS,Finnische Zentralbank
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