GELD-Magazin, Juli/August 2019
E xplodierende öffentliche Schul- den, künstlich nahe null gehal- tene Zinsen und durch unkon- ventionelle geldpolitische Maßnahmen zügellos aufgeblasene Zentralbankbi- lanzen – in den letzten Jahren durchlief die Welt ein beispielloses ökonomisches Experiment. Dessen Ergebnis sehen im- mer mehr Politiker, Wirtschaftstreibende und Wirtschaftswissenschafter als „New Normal“ an. Mit Verständnis, aber scheinbar ohne neue Erkenntnisse wird akzeptiert, dass die klassische Lehrbuch-Theorie nicht mehr in der Lage ist, die vielen offenen Fragen der wirtschaftlichen Dynamik zu erklären. Und so entfernt sich die poli- tische Praxis Schritt für Schritt von ihren ehemaligen ökonomischen Leitlinien. In diesem Umfeld, in dem die alten Zusam- menhänge zwischen Zinsen, Schulden, Inflation und Wachstum an Gültigkeit verlieren, erhalten Theorien, die so gar nicht ins Bild des offensichtlich überhol- ten ökonomischen Mainstreams passen, plötzlich wieder frischen Auftrieb. Einer dieser unkonventionellen Ansätze, die Modern Monetary Theory oder kurz MMT, entwickelt sich gerade zum neuen Shoo- ting Star des linken Flügels der US-De- mokraten und genießt daher nicht zuletzt wegen hitzig geführter Wahlkampf-De- batten auch außerhalb der Ökonomen- zunft immer größere Aufmerksamkeit. AUF DEN KOPF GESTELLT Im Zentrum der mit 25 Jahren noch recht jungen „modernen Geldtheorie“ steht eine Annahme, die mit jedem gän- gigen Verständnis von Geld und Schul- den bricht: Staaten, die über eine souve- räne eigene Währung verfügen, können nicht bankrott gehen, weshalb auch kei- ne fiskalische Disziplin und dynamische Zinssteuerung, sondern eine aktive staat- liche Nachfragepolitik gepaart mit unter stützender Zentralbankfinanzierung den Schlüssel zu wirtschaftlicher Stabilität CREDITS: Pavlina R. Tcherneva: Wikipedia/Marta Jara, Ray Dallio: World Economic Forum/Michael Würtenberg, Robert Mugabe: Zimbabwe, Office of the President, Geldscheine: stock.adobe.com/hvoenok Die bisher wenig beachtete Modern Monetary Theory (MMT) ist derzeit in aller Munde – vom heiligen Gral der Sozialisten bis zum Hyperinflation erzeugenden Fallstrick für die Weltwirtschaft ist dabei die Rede. Doch was bleibt nach Abzug der politischen Polemik wirklich übrig? Moritz Schuh Free Lunch für alle! BRENNPUNKT | Modern Monetary Theory 8 | GELD-MAGAZIN – JULI/AUGUST 2019 JAPAN ALS MUSTERBEISPIEL MMT argumentiert, dass stetige Geld- schöpfung die Norm und Hyperinflation nur eine Ausnahme des wirtschaftlichen Handels darstellt. Den Beweis dafür soll Japan, als das am höchsten verschuldete Industrieland und gleichzeitige ökono- mische Powerhouse, darstellen. Nachdem der wirtschaftliche Boom im Land der aufgehenden Sonne von der Krise im Jahr 1990 jäh beendet wurde, verfiel Japan in eine Stagflation – was die Gewinne der Unternehmen redu- zierte. Die wirtschaftspolitische Antwort: riesige schuldenfinan- zierte Ausgaben. Nachdem Shinzo Abe 2012 zum Premiermini- ster gewählt wurde und seine ‚Abenomics‘ genannten expansiven Fiskalprogramme umsetzte, genoss die japanische Wirtschaft fast durchgehend mäßiges Wachstum. Heute steht die Schul- denquote bei 240 Prozent, Inflation ist quasi non-existent und der Lebensstandard zählt nach wie vor zu einem der höchsten der Welt. Ideale Laborbedingungen für die Verfechter der MMT! ZIMBABWES HYPERINFLATION Ist von MMT die Rede, so wird häufig das Beispiel Zimbabwe ins Spiel gebracht. Kritiker erinnern dabei an die verhee- renden Folgen der Notenbank-finan- zierten Ausgaben Robert Mugabe’s, die eine Hyperinflation mit unglaublichen Hundert-Billionen-Dollar-Noten zur Folge hatte. Das Problem an dem Vergleich: Zimbabwes Misere stellt ein Paradebei- spiel von MMT’s Ressourcenengpass dar. Nachdem Mugabe weiße Bauern enteignete und deren Land und Gut an Soldaten verteilte, die an seiner Seite für Zimbabwes Unabhängigkeit von Großbritannien kämpften, entwickelte sich das Land inner- halb kürzester Zeit von der Kornkammer Afrikas zu einer Nation, die sich nicht einmal mehr selbst ernähren konnte. Die land- wirtschaftliche Unerfahrenheit der Soldaten brach dem Land ihr wirtschaftliches Rückgrat und vernichtete mehr als sech- zig Prozent seiner Produktionskapazitäten – Mugabe’s öffent- liche Ausgaben über die Druckerpresse erledigten den Rest!
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