GELD-Magazin, Juli/August 2019
Aufgabe es ist, durch antizyklische Fis- kalpolitik die Wirtschaft anzukurbeln. Wächst eine Volkswirtschaft, d.h. baut der private Sektor Überschüsse auf und versucht der öffentliche Sektor gleichzeitig sein Budget auszugleichen, so kann dies nur über Leistungsbilanz- überschüsse funktionieren. Versuchen dies mehrere große Volkswirtschaften gleichzeitig, so wird der Rest der Welt in eine Verschuldungsposition getrieben, die eine Finanzkrise quasi vorprogram- miert – sofern die zusätzliche Verschul- dung nicht mehrheitlich aus Staatsanlei- hen besteht. VON STEUERN UND ANLEIHEN Gemäß der MMT bedeutet dies, dass Staaten in unserem heutigen Umfeld mo- derner Geldsysteme Staatsanleihen emit- tieren und sich somit gegenüber in- und ausländischen Geschäftsbanken „ver- schulden“, um Arbeitsleistungen, Güter und Dienstleistungen vom Privatsektor zu kaufen und damit dessen Profite über- haupt erst zu ermöglichen. Diese Verschuldung ist laut MMT je- doch nur scheinbar, da die Geschäfts- banken beim Erwerb der Anleihen Geld von ihrem Zentralbankkonto an das Zen- tralbankkonto des emittierenden Staates überweisen. Dafür borgen sie sich gegen Sicherheiten und zum günstigen Leitzins Reserven bei der Zentralbank, transferie- ren diese auf das Konto des Staates und erhalten im Gegenzug Staatsanleihen mit Verzinsung, die in weiterer Folge an Pen- sionsfonds, Privatpersonen und andere Banken weiterverkauft werden können. Da es aber de facto keine Beschränkun- gen dieser Ausgaben gibt, findet über die- sen Weg eine indirekte Finanzierung der öffentlichen Ausgaben über die Zentral- bank statt, ohne die Notwendigkeit, Steu- ern dafür einzuheben. Doch warum besteuert der Staat dann überhaupt? MMT erklärt dies da- mit, dass jede staatliche Tätigkeit einen Teil der allgemein vorhandenen Ressour- cen beansprucht und damit aufgrund der Konkurrenz mit dem Privatsektor Inflati- on erzeugt. Durch Besteuerung entzieht der Staat im Gegenzug private Kaufkraft, senkt die Nachfrage nach Konsum- und Kapitalgütern und reduziert damit die Teuerung. DER STAAT ALS REGULATIV Auf Basis dieser Erkenntnisse fußt die eingangs erwähnte Behauptung der Modern Monetary Theory, dass Staaten mit eigener Währung, flexiblen Wechsel- kursen und ohne übermäßige Fremd- währungsverschuldung nicht bankrott gehen können, solange freie Ressour- cen und damit Wachstumskapazitäten in der Wirtschaft vorhanden sind. In Zeiten ohne Vollauslastung kann der Staat, laut MMT, auch ohne Bedenken aktiv in wenig profitable und damit nicht mit der Privat- wirtschaft konkurrierende Wirtschaftsbe- reiche eingreifen und so ein gesamtwirt- schaftliches Wachstum generieren. Das wahrscheinlich prominenteste Beispiel hierfür ist die, im US-Wahlkampf immer wieder ins Treffen geführte, staat- liche Jobgarantie. Die Idee dahinter be- steht darin, dass der Staat ein unlimi- tiertes Angebot an Arbeitsplätzen im Be- reich gemeinwohlfördernder Tätigkeiten schafft und diese zum Mindestlohn über Schulden finanziert. Neben dem sozia- len Aspekt der Bekämpfung von Arbeits- losigkeit steht für MMT jedoch vor allem der funktionale Effekt im Vordergrund: durch die geschaffenen Einkommen wird privater Konsum generiert und so die all- gemeine Produktion in anderen profita- bleren Bereichen weiter gefördert. In der Tradition Abba Lerner’s „func- tional finance“ tritt MMT bei der Bewer- tung wirtschaftspolitischer Maßnahmen BRENNPUNKT | Modern Monetary Theory daher dafür ein, sich weniger auf die bud- getären Effekte und mehr auf die ökono- mischen Vorteile zu konzentrieren. AUFSTIEG ZUR FURORE-THEORIE Wir sehen also, dass die aus MMT resultierenden wirtschaftspolitischen Handlungsempfehlungen ebenso auf lin- ken wie rechten Positionen aufbauen und die Lehre entgegen häufiger Kritik auch keinen Freibrief zum Schuldenmachen ausstellt. Staatsdefizite und Inflation werden nicht komplett ausgeblendet und stellen genauso wie in der Mainstream- ökonomie eine reale Gefahr dar, wenn diese in unproduktiven Ausgaben mün- den oder über das Maß der freien Kapazi- täten hinausgehen. Der eigentliche Grund für die gegen- wärtig explodierende Aufmerksamkeit, die der Modern Monetary Theorie ent- gegengebracht wird, liegt daher weniger an ihren radikalen Standpunkten, son- dern vielmehr ihrer politischen Verein- nahmung im US-Präsidentschaftswahl- kampf. Linke Politiker, von der New Yor- ker Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cor- tez über den sozialistischen Präsident- schaftskandidaten Bernie Sanders, ha- ben die Theorie für sich entdeckt, um Raum für die Finanzierung umstrittener Programme, wie einen Green New Deal oder Medicare für alle, zu propagieren. Widersprüchlicherweise fordern sie da- mit aber eher das konservative Establish- ment der Demokratischen Partei heraus, als die Republikaner unter Trump, die mit Defiziten offensichtlich kein Problem haben, solange keine Jobgarantie, Ener- giewende oder öffentliche Krankenversi- cherung dahinter steckt. CREDIT: Bill Mitchel: PierluigiTesta,Larry Summers:World Economic Forum/ E.T.Studhalter/ commons.wikimedia.org,Geldscheine: stock.adobe.com/hvoenok 10 | GELD-MAGAZIN – JULI/AUGUST 2019 „MMT enthält we- nig von Grund auf Neues. Es geht mehr darum, Ideen zu be- reits Bestehendem hinzuzufügen.“ Bill Mitchel, Ökonom und Begründer der MMT „Es gibt keinen „Free Lunch“, weder für die Rechten noch für die Linken.“ Larry Summers, ehem. US-Finanzminister
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