GELD-Magazin, Juni 2019
I biza-Skandal, Rücktritt der FPÖ-Mi- nister und die Auflösung der Bun- desregierung: Österreichs Innenpoli- tik hat schon einmal „stressfreiere“ Zeiten erlebt. Letztlich scheint mit der Ernennung von Brigitte Bierlein zur inte- rimistischen Bundeskanzlerin aber wie- der ein wenig Ruhe eingekehrt zu sein. Zumindest vorläufig. Im September fin- den Neuwahlen statt, bevor die Karten neu gemischt werden, stehen sicher wie- der hitzige Gefechte bevor. In all dieser Hektik sind die Wahlen zum EU-Parla- ment vom österreichischen Radar fast verschwunden. „Blaues auge“ Dabei war der Ausgang durchaus be- merkenswert: Denn der Vormarsch po- pulistischer Parteien ist nicht so verhee- rend ausgefallen, wie ursprünglich be- fürchtet. Trotz starken Zugewinnen in Frankreich, Italien und Großbritannien konnte kein Triumph der (Rechts-)Popu- listen und Nationalisten gefeiert werden. Die EU ist sozusagen mit einem „blau- en Auge“ davongekommen, gestoppt ist der Vormarsch der „Volkstribune“ aller- dings nicht. Damit das gelingt, müsste man zuerst bei der Funktionsweise des Populismus ansetzen. Das Lateinische populus steht bekanntlich für das Volk, also einem eigentlich positiven Begriff. Populismus bedeutet allerdings, vorzu- geben, dass man ganz genau wüsste, was für die gesamte Gesellschaft am be- sten sei. Populisten behaupten weiters – und hier wird es gefährlich –, dass nur sie wüssten, was richtig und falsch ist. Diese Methodik öffnet nämlich der Dif- famierung des politischen Gegners und von Minderheiten (das beliebteste Ziel der Populisten) Tür und Tor. Gleichzei- tig wird auch „nach oben“ geschlagen, also Eliten-Bashing betrieben. Beispiel: „Die Chaoten aus Brüssel.“ Ein weiteres wesentliches Charakteristikum ist, dass komplexe Sachverhalte simplifiziert dar- gestellt und demnach auch einfache Lö- sungen vorgestellt werden. Das kommt bei vielen Wählern gut an, aber warum ist dieses Erfolgsrezept bei den EU-Wah len nicht so, wie von den Protagonisten gewünscht, aufgegangen? Eine Erklä- rung ist, dass populistische Ideen bereits im politischen Mainstream angekommen sind und von etablierten Parteien in die Partei- und Regierungsprogramme zu- mindest teilweise aufgenommen worden sind. Man denke hier in erster Linie an die Frage der Migration. Sowohl Sozial- demokraten und Konservative haben er- kannt, dass mit einer offen propagierten Brennpunkt | Europapolitik 8 | GELD-MAGAZIN – juni 2019 Die Europawahlen sind geschlagen, wobei die Augen auf den Vormarsch populistischer Parteien und in Österreich vor allem auf „Ibiza-Gate“ gerichtet waren. Halten wir fest: Der befürchtete massive Rechtsruck im EU-Parlament ist ausgeblieben, dennoch bleiben fundamentale Probleme ungelöst. Harald Kolerus Unruhe nach dem Sturm Die Grafik basiert auf dem durchschnittlichen, nach der Bevölkerungs- größe der Länder gewichteten Anteil für alle Wahlen im jeweiligen Zeitraum. Untersucht wurden Belgien, Dänemark, Deutschland, Finn- land, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Schweden. Stimmenanteil rechtspopulistischer Parteien in West- und Nordeuropa Quelle:FrankDecker 15% 10% 5% 2003-2008 0% 2009-2013 2014-2018 12,1% 8,3% 3,5% Die Zuordnung der Parteien erfolgt gemäß der Fraktionszugehörigkeit im Europäischen Parlament und verdeutlicht den Niedergang ehema- liger Großparteien. Sowohl Christlich-Soziale/Konservative als auch Sozialdemokraten leiden unter einem teilweise massiven Vertrauens- verlust in der Bevölkerung. Stimmenanteile christlich-konservativer & sozialdemokratischer Parteien Quelle:FrankDecker 40% 38% 36% 34% 32% 30% 28% 26% 24% 22% 20% 1976-1980 1981-1985 1986-1990 1991-1995 1996-2000 2001-2005 2006-2010 20112015 2016-2018 Sozialdemokraten Christdemokraten/Konservative credit: pixabay
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