GELD-Magazin, Juni 2019
dete Menschen weisen heute immer noch deutliche Lücken bei so grundlegendem Fi- nanzwissen auf, da möchte ich auch den akademischen Stand nicht ausnehmen. Nochmals in puncto Eigenverantwortung: Ich will einem Kunden schon zutrauen dür- fen, dass er selbst weiß, ob er sich 50, 100 oder 150 Euro im Monat für ein ge- wisses Ansparprodukt leisten kann oder nicht. Ich appelliere hier an den gesunden Menschenverstand. Ich brauche, zumin- dest hierzulande, ja schließlich auch keinen Warnhinweis, dass ich eine Katze nicht in die Mikrowelle stecken darf! abschließend: Was gilt es zu tun, damit Regulierungen sich richtig einpendeln? samuiloFF: Gegen die weitere Sicherung eines funktionierenden Kapitalmarktes hat niemand etwas einzuwenden. Mein wich- tigsterWunsch ist, wie bereits angesprochen, die Analyse des bestehenden Regelwerks. Was nicht praxistauglich und überbor- dend ist, gehört auf den Prüfstand gestellt. Einfach ausgedrückt: Regeln, die nichts bringen, müssen entrümpelt werden. Gold- Plating muss reduziert werden, vor allem bei den „Wohlverhaltensregeln“, sprich den ganzen Form- und Formularvorschriften, für Berater sehe ich Handlungsbedarf. ResCH: Ganz klar müssen Regeln abgeän- dert werden, wenn das nötig ist. Starres bürokratisches Denken ist hier fehl am Platz. Wir befinden uns deshalb auch tagtäglich in Diskussionen, was man ändern könnte, und führen diesbezüglich Gespräche mit der FMA, der ich ein Lob für ihre Bereit- schaft und Kommunikation aussprechen möchte. Auf europäischer Ebene läuft der gleiche Prozess ab: Wir reden mit der Kom- mission, was wir für sinnvoll erachten und was weniger. Wichtig ist außerdem, sich die Schattenbanken (Finanzunternehmen, die außerhalb des regulären Bankensystems tätig sind, aber ähnliche Aufgaben wie Ban- ken übernehmen, zum Beispiel Hedgefonds, Anm.) anzusehen. Eine starke Regulie- rung kann dazu führen, dass zunehmend versucht wird, in diesen Sektor auszuwei- chen. Damit entstehen wieder neue Risiken für Konsumenten, deshalb gilt es, diesen Bereich genau zu analysieren und ent- sprechend zu handeln. Letztlich muss der österreichische Bankenverband auch lan- desspezifische Eigenheiten einbringen; es macht einen Unterschied, ob Finanzinstitute Bilanzsummen von 500 Millionen, einer Mil- liarde oder 100 Milliarden aufbringen. Bei allem europäischen Geist darf man natio- nales Denken und die Bedachtnahme auf unterschiedliche Größenverhältnisse nicht völlig abstellen. dRenniG: Es ist verständlich, dass nach der großen Krise ab 2008 die Aufsicht über die Banken massiv verstärkt worden ist. An die- ser Krise waren schließlich etliche Banken beteiligt, bei denen hemmungslose Gier je- des vernünftige Maßhalten verdrängt hatte. Die Frage ist nur, wie weit dabei über das Ziel hinausgeschossen worden ist. Das zeigt sich auch an den im Vergleich zu den USA unverhältnismäßig höheren Belastungen. In den USA hat es nie Negativzinsen für die Einlagen der Banken bei der Zentralbank gegeben, in Europa machen sie Milliarden aus. Und die Kosten allein von MiFID II wur- den für deutsche Banken von der bekannten Beraterfirma Ernst & Young auf jährlich 6,7 Milliarden geschätzt. Für Österreich ist mir keine vergleichbareGesamtkostenschätzung bekannt, selbst eine grobe Hochrechnung ergäbe dramatische Summen, gegen die die Kosten der Finanzmarktaufsicht nur einen Bruchteil ausmachen. ettl: Ich möchte abschließend festhal- ten, dass der europäische Finanzmarkt weit davon entfernt ist, überreguliert zu sein. Vielleicht ist anmanchen Stellen etwas über- sehen worden, vielleicht besteht anderswo der Bedarf nach Anpassungsprozessen. Die Evaluierung findet ja auch ständig auf na- tionaler und europäischer Ebene statt. Ich meine sogar, dass es in manchen Bereichen zu wenig Regulierung gibt, so bei der bereits angesprochenen, rasch fortschreitenden Digitalisierung. In diesem Bereich ist man sicher noch nicht optimal aufgestellt, was sich verbessern muss. Prinzipiell gilt: Wenn die Komplexität des Finanzmarktes nicht geringer wird, dann müssen die Regeln kom- plexer werden. Vielleicht noch ein Nachsatz: Ich meine, dass gewisse, sehr komplexe Produkte dem Kunden gar nicht zugemutet werden sollten. Dafür gibt es die Möglichkeit des Produktverbots. RitzinGeR: Als überzeugter Europäer wün- sche ich mir eine Stärkung der europäischen Finanzmärkte und -plätze, nicht zuletzt durch sinnvolle Regulierung. Europa muss hier ge- meinsam denken und darf nicht zu sehr in nationalstaatliche Interessen verfallen. Das würde uns nur Wettbewerbsnachteile, etwa gegenüber den USA und Asien, besche- ren. In Bezug auf Finanzmarktregulierung sehe ich hier noch Verbesserungsbedarf. Tatsächlich verhindert selbst die derzeitige Regulierung nicht, dass riskante Produkte an private Anleger vertrieben werden. Ich kann der Sichtweise von Herrn Ettl zu die- ser Frage einiges abgewinnen. Man kann für solch riskante Produkte das Instrument eines absoluten Produktverbots in Betracht ziehen. Allerdings: Wenn der Anleger im Vor- feld klar und eindeutig über Risikogehalt und spekulativen Charakter eines solchen Produkts aufgeklärt wurde, dann würde ich ihm den Weg zu diesem Produkt nicht abso- lut verwehren. Hier kommt für mich wieder die mehrfach erwähnte Eigenverantwortung ins Spiel. Immerhin will man es ja auch nie- mandem verbieten, ins Casino zu gehen. Wichtig ist, dass der Anleger genau weiß, was er bekommt. Und dafür braucht es pro- fessionelle Beratung und insbesondere Risikoaufklärung. Finanzmarkt-Regulierung | RounDtable juNI 2019 – GELD-MAGAZIN | 39 pRaxisHandbuCH miFid ii Bohrn / Just u.a. Finanzverlag. 806 Seiten. isbn: 978-3-9503373-9-6
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