GELD-Magazin, Juni 2019
Wo lassen sich nun konkrete Beispiele für Überregulierung bzw. Bürokratisie- rung finden? Samuiloff: Der Finanzberater obliegt vor- vertraglichen Informationspflichten, die 40, 50 Seiten und noch mehr umfassen. Für den Kunden ist das nicht greifbar, so wird die angestrebte Transparenz nicht er- reicht. Ich fordere deshalb praxistaugliche Informationsmaterialien, aber auch eine ständige Aus- und Weiterbildung der Bera- ter selbst, um bei allen Fragen der Kunden bestehen zu können. Und es kann meiner Meinung nach auch nicht sein, dass sich die Anbieter von Finanzprodukten darauf verlas- sen, dass der Berater schon alles machen wird und letztendlich immer die Verantwor- tung trägt. Ettl: Ich möchte hinzufügen, dass ein Haf- tungsdokument von 40 oder 50 Seiten einem guten Beratungsgespräch nicht im Wege steht, wenn es sozusagen gut „über- setzt“ wird. Das bedeutet also: Der Berater muss die wesentlichen Infos daraus ver- ständlich darstellen können. Drennig: Überregulierung beginnt bereits beim vorgeschriebenen Umfang des Be- ratungsgesprächs mit den Kunden. Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ hat im Vor- jahr berichtet, dass ein Erstgespräch mit einem Bankberater 90 Minuten gedauert hat und der Kunde dann 213 Seiten Infor- mationen bekommen hat, weitere 83 Seiten wurden ihm per Mail zugeschickt. Nach un- serer eigenen Kenntnis ist das durchaus der Normalfall. Das ist natürlich zuviel, auch wenn es richtig ist, etwa die Risikobereit- schaft des Kunden genau zu ermitteln und ihm nur Produkte anzubieten, die für ihn ge- eignet sind. Allerdings stehen wir vor dem prinzipiellen gravierenden Problem, dass die Menschen zu wenig über Finanzthemen wis- sen. Und das kann im Rahmen eines noch so ausführlichen Beratungsgesprächs nicht wirklich kompensiert werden. Abgesehen davon gilt aber in der Praxis die Aussage: Trust in characters, not in balance sheets. Soll heißen: Auf Dauer setzt sich derjenige Berater durch, dem das Vertrauen der Kun- den geschenkt wird. Ist Financial Education also ein springender Punkt? Resch: Tatsächlich haben Umfragen er- geben, dass zwei Drittel der Jugendlichen ihre Eltern als wichtigste Informationsquel- le bei Geldfragen ansehen. Wenn die Eltern kein Finanzwissen aufweisen, gibt es kei- ne Vermittlung und auch keinen Ansporn für Weiterbildung. Deshalb ist Financial Education überaus wichtig und muss auch in der Schule stattfinden. Wir als Banken- verband sind hier sehr aktiv, arbeiten mit dem Bildungsministerium und den Schu- len zusammen, was gut klappt. Vieles hängt allerdings von der Motivation der einzel- nen Lehrer ab. Aber auch außerhalb des schulischen Bereichs halten wir viele Infor- mationsveranstaltungen ab. Ettl: Auch die Finanzmarktaufsicht (FMA) hat in diese Richtung schon einige Initiativen ins Leben gerufen. Flächendeckend steht man aber vor dem Problem, dass nicht aus- reichend Unterrichtspersonal zur Verfügung steht. Die FMA nützt aber auch moderne Me- dien und hat zum Beispiel Videos gestaltet, die Finanzthemen interessant darstellen – wir erfreuen uns hier sehr vieler Klicks. Aber apropos: In den Massenmedien wird nor- malerweise nicht so sehr der Schwerpunkt auf Finanzbildung gesetzt. Vergleicht man das zum Beispiel mit Gesundheitsbeiträgen, ist der Bereich Finanzen stark unterreprä- sentiert. Samuiloff: Finanzdienstleister veranstalten immer wieder Info-Abende für Kunden, es geschieht viel auf diesem Gebiet. Auch gibt es unterschiedliche Initiativen in Schulen, leider fehlt aber die fixe Verankerung in den schulischen Lehrplänen. Die Berater selbst wehren sich natürlich keinesfalls gegen Weiterbildung. In diesem Zusammenhang möchte ich etwa auf unseren Bildungs-Kick- off hinweisen, eine alljährliche umfassende Weiterbildungsveranstaltung für unsere Mit- glieder. Ritzinger: Finanzbildung ist ohne Zweifel von entscheidender Bedeutung. Im Rahmen meiner Vortragstätigkeiten treffe ich dabei immer wieder auf großes Interesse, gerade was das Thema Regulierung betrifft. Wich- tig ist mir dabei: Ich will nicht die gesamte Verantwortung nur bei den Beratern sehen, sondern plädiere durchaus auch für mehr Eigenverantwortung der Verbraucher. Dafür benötigen diese aber ein gewisses Basiswis- sen. Der Grundstock dafür sollte möglichst früh erarbeitet werden, und zwar bereits in den Grund- und Mittelschulen bzw. im Lehr- lingsalter. Beispielsweise sollte schon in jungen Jahren ein gesundes Verständnis über so grundsätzliche Dinge wie den Zu- sammenhang zwischen Rendite und Risiko geschaffen werden. Selbst gut ausgebil- Roundtable | Finanzmarkt-Regulierung 38 | GELD-MAGAZIN – juni creditS: beigestellt, ivanashoots „ Selbst Spitzenjuristen wird die gegenwärtige gesetzliche Überregulierung manchmal zuviel. “ Dr. Manfred Drennig, Geschäftsführer der Privatconsult Vermögensverwaltung, weist meh- rere Jahrzehnte Erfahrung am Finanzmarkt auf. „ In gewissen Bereichen haben wir heute bereits einen Grad der Überregulierung erreicht. “ Mag. Günther Ritzinger ist Geschäftsführer und Gründer der Kapitalmarkt Consult Unternehmensberatung (KCU)
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