GELD-Magazin, Juni 2019
Gehen die Regulierungen des Finanz- marktes in der EU zu weit, sind sie nicht streng genug oder wurde die richtige Balance gefunden? Helmut Ettl: Regulierungen sind auch kri- senabhängig zu sehen. In den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden Re- gulierungen auf-, in den 80ern wieder abgebaut. Nach der großen Krise 2008 wurden die Zügel erneut strenger angezo- gen. Ich meine, dass die richtigen Lehren gezogen worden sind und halte es für eine große Errungenschaft, dass Regulierungs- maßnahmen nicht nur nationalstaatlich, sondern auch europaweit, ja sogar global ergriffen wurden. Günther Ritzinger: Regulierung ist wich- tig und kann nur auf internationaler Ebene sinnvoll funktionieren, schließlich machen ja auch die Kapitalmärkte nicht an den natio nalen Grenzen Halt. Allerdings bin ich der Meinung, dass in bestimmten Bereichen des Finanzmarkts mittlerweile ein Grad der Überregulierung erreicht ist. Dort ist das Pendel bereits zu weit ausgeschlagen. Eric Samuiloff: Auch ich bin froh darüber, dass es europaweite Regulierungsmaß- nahmen gibt. Allerdings sollte man nicht das Kind mit dem Bade ausschütten bzw. die Treppe von oben nach unten kehren und nicht umgekehrt. Damit meine ich, dass immer der Praxisbezug im Auge behalten werden sollte. Auch glaube ich, dass im Be- reich der Beratungsverantwortung bereits Überbürokratisierung erreicht worden ist. Es ist keine Frage: Kunden müssen mit sehr hoher Qualität beraten werden, allerdings wünsche ich mir auch mehr Finanzbildung und Eigenverantwortung der Kunden. In Wirklichkeit verfolgen wir alle ein Ziel: Gute Beratung anzubieten, dies erfordert jedoch aufgrund der herrschenden Komplexität einen sehr hohen Aufwand. Ich gebe an die- ser Stelle zu bedenken, dass in den letzten zehn Jahren in der Branche ein Rückgang der Anzahl an freien Beratern um rund 50 Prozent festzustellen war. Gerald resch: Regulierungen sind mit Sicherheit ein wichtiger Bestandteil der Bankenlandschaft, allerdings muss Eur- opa darauf achten, wettbewerbsfähig zu bleiben. Es ist ein Fehler, sozusagen Fünf- Jahres-Pläne umzusetzen, ohne Rücksicht auf Marktentwicklungen zu nehmen. Die USA agieren hier flexibler als Europa. Man muss also genau analysieren, wie sich Re- gulierungen in der Praxis auswirken und entsprechend handeln bzw. Anpassungen vornehmen. Ich glaube, dass das Regelwerk bereits manchmal über seine Ziele hinaus- geschossen ist. Auf der anderen Seite darf das Thema Digitalisierung nicht vergessen werden: Die GAFAs (Google, Apple, Face- book und Amazon, Anm.) strömen in den Markt, auch hier muss der Schutz für die Kunden gewährleistet werden. Manfred Drennig: Wir haben tatsächlich viel zu viel Regulierung, allerdings nicht nur bei Banken und Versicherungen, sondern in den unterschiedlichsten Bereichen, auch in der Industrie und bei Dienstleistungen. Selbst manchen Spitzenjuristen gehen die Vielzahl von Regelungen schon viel zu weit. Umgekehrt wird es aber zum Problem, wenn ausgerechnet Konkurrenz zu hoch re- gulierten Bereichen unreguliert bleibt, wie etwa konkret die Vielzahl von Wertpapier angeboten im Internet. juni 2019 – GELD-MAGAZIN | 37 Finanzmarkt-Regulierung | Roundtable „ Man sollte die Treppe von oben nach unten kehren, also den Praxisbezug von Regeln nicht vergessen. “ Eric Samuiloff, Obmann der Fachgruppe Finanz- dienstleister in der Wirtschaftskammer Wien, ist auch Inhaber der Unternehmensberatung ERISA. „ Aus der großen Krise von 2018 wurden in puncto Regulierung die richtigen Lehren gezogen. “ Mag. Helmut Ettl, heute Vorstand der Finanz- marktaufsicht, war früher unter anderem in der Oesterreichischen Nationalbank tätig. „ Europa muss bei gleichzeitigem Schutz für die Kunden wettbewerbs fähig bleiben und flexibel agieren. “ Dr. Gerald Resch, Generalsekretär des Ver- bandes österreichischer Banken und Bankiers, war zuvor leitend in der FMA tätig.
RkJQdWJsaXNoZXIy MzgxOTU=