GELD-Magazin, Juni 2019

D er große Knall erfolgte 2008, als die US-Investmentbank Leh- man Brothers vom Staat fallen- gelassen wurde. Die Folgen sind bekannt: Das Platzen der Subprime-Immobilien- blase in den Vereinigten Staaten, der Ab- sturz der internationalen Börsen und die schlimmste Finanz- und Wirtschafts­ krise seit 1929 erschütterten die Welt. Mit Müh und Not sowie erheblichen Kosten konnte noch das größte Übel ver- mieden werden: Das Abgleiten in eine Depression wie in den 1930er-Jahren. Casino-Kapitalismus Wobei die Krise 2008 von einem Fi- nanzmarkt angefeuert wurde, der kaum noch Regeln kannte, geschweige denn befolgte. Das sollte sich bald ändern. Als Folge des Desaters wurde dem europä- ischen Kapitalmarkt ein strengeres Kor- sett in Form einer Vielzahl von Regula- torien (siehe Auswahl unten) angelegt, wobei die Kritik an diesen Maßnahmen nicht allzu lange auf sich warten ließ. Dabei geht es nicht etwa um zu vernach- lässigende Randthemen, sondern um wirtschaftlich Existenzielles. Zum Bei- spiel um MiFID II (Market in Financial Instruments Directive), die seit 2018 in zahlreiche Details des Bankgeschäftes eingreift. Sich mit der Gesamtheit dieses Regelwerks auseinanderzusetzen, wür- de wohl Bücher füllen. Verknappt kann aber zusammengefasst werden, dass das Ziel von MiFID II, so die Kritiker, ver- fehlt wird: Nämlich Kunden umfassend zu informieren. Einige Zahlen scheinen diese Skepsis zu bestätigen. Der Fach- verband der Wirtschaftskammer für Fi- nanzdienstleister hat im Herbst 2018 eine Umfrage bei erfahrenen Praktikern gestartet (94 Prozent der Teilnehmer wa- ren schon mehr als zehn Jahre tätig, 47 Prozent mehr als 20 Jahre). Ergebnis: 76 Prozent beurteilten die zusätzlich gefor- derten Informationen als nutzlos oder gar schädlich, und nicht weniger als 70 Pro- zent meinen, dass sich MiFID II auf die Betreuung der Kunden eher verschlech- ternd ausgewirkt habe. Nur ein Beispiel von vielen, das sich durch den Tenor der Kritik zieht. Nämlich, dass die Regula- torien in vielen Fällen weit über ihr Ziel hinausgeschossen seien. Von Überbüro­ kratisierung und teilweiser Praxisfer- ne ist die Rede, was schon einmal dazu führte, „dass die Treppe von unten nach oben gekehrt wird“. Hohe Kosten für die Anbieter bei gleichzeitig wenig Nutzen für die Kunden seien die Folge. Befürworter des strengeren Kurses glauben hingegen nicht, dass es (zumindest nicht in erheb- lichem Ausmaß) zu Überregulierung ge- kommen ist. Roundtable: Experten amWort Um die verschiedenen Positionen an einem Tisch zu diskutieren, hat das GELD-Magazin ausgewiesene Kenner des Marktes zum Gespräch eingeladen. Zu Gast waren: Helmut Ettl, Vorstand Fi- nanzmarktaufsicht; Günther Ritzinger, Geschäftsführer Kapitalmarkt Consult; Gerald Resch, Generalsekretär Banken- verband; Manfred Drennig, Geschäfts- führer Privatconsult Vermögensverwal- tung; und Eric Samuiloff, Wirtschafts- kammer Wien, Fachgruppe Finanz- dienstleister. Soviel sei bereits an dieser Stelle vorweggenommen: Die Diskussion fiel lebhaft, aber ohne unüberbrückbare Gegensätze aus. Mehr dazu lesen Sie ab der folgenden Seite. creditS: ivanashoots Roundtable | Finanzmarkt-Regulierung 36 | GELD-MAGAZIN – juni 2019 „Das Gegenteil von gut gemeint ist oft schlecht gemacht.“ Manche Kritiker glauben, dass dieser Sinnspruch auf die Finanzmarktregulierung zufrifft. Befürworter verteidigen hingegen das strengere Korsett. Eine hoch­ karätig besetzte Expertenrunde ging mit dem GELD-Magazin der Kontroverse auf den Grund. Harald Kolerus Die Treppe von unten kehren Die wichtigsten MaSSnahmen seit der finanzkrise: MiFID (II): » » Die mittlerweile zweite, erweiterte Wertpapierregulierung stellt hohe organisa- torische und wohlverhaltensbezogene Anforderungen an Anlageberater, Portfolioverwalter und andere Wertpapierdienstleister. IDD: » » Die Versicherungsvertriebsrichtlinie erlegt Versicherungsvertreibern umfassende Wohlverhaltens-, Beratungs- und Aufklärungspflichten beim Vertrieb von Versicherungs­ produkten auf. Geldwäsche-Richtlinie: » » Die mittlerweile fünfte Geldwäsche-Richtlinie dient der Verhinde- rung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismus­ finanzierung. UCITS (V): » » Das mehrfach erweiterte Regime dient dem Schutz von Fondsinvestoren und normiert strenge Anforderungen an Verwaltungsgesellschaften und an die Verwaltung von Investmentfonds. MAR: » » Die „Market Abuse Regulation“ dient der Verhinderung von Insiderhandel und Marktmanipulation.

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