GELD-Magazin, Juni 2019
tik der Regierung, wie etwa die kürzlich erfolgte Zusage von zehn Milliarden Dol- lar zur Stützung türkischer Energiekon- zerne und Importeure, reißt Löcher in das Haushaltsbudget, zu deren Finanzie- rung nun auch die Zentralbank selbst in Betracht gezogen wird. Um das Staats- defizit zu füllen, arbeitete das Finanzmi- nisterium Insidern zufolge an einem Ge- setzesentwurf, wonach 40 Milliarden Lira (rd. 6,1 Mrd. Euro) gesetzlicher Rückla- gen der Notenbank in den Etat übertra- gen werden sollten. Grund zur Besorg- nis liefern auch die Netto-Devisenreser- ven der türkischen Zentralbank TCMB, die nach dem Wahlkampf an einem neuen Tiefpunkt angelangt sind. Abzüg- lich der kurzfristigen Dollarkredite, mit denen die TCMB versucht, ihre Reser- ven zu schönen, standen diese Mitte Mai bei gerade einmal 12,7 Milliarden Dollar – verglichen mit 35 Milliarden Ende Fe- bruar. Der Spielraum, auf weitere Ab- stürze der Lira zu reagieren, ist dement- sprechend gering. Um die Feuerkraft zu erhöhen und Geschäftsbanken dazu zu ermuntern, Kunden Geldanlagen in Lira zu empfehlen, wurden Ende Mai die Min- destreserve-Anforderungen für Sicher- heiten auf Devisen-Guthaben um zwei Prozentpunkte angehoben. Ein Schach- zug, der dem türkischen Geldmarkt Fremdwährungen in Höhe von 4,2 Mil- liarden Dollar entzog und die Lira auch kurzfristig zu stützen vermochte. scHulDenHauFen Wirft man einen genaueren Blick auf die Brutto-Devisenreserven – inklusive Deviseneinlagen der Geschäftsbanken und türkischer Unternehmen –, so of- fenbart sich der größte Risikofaktor der wirtschaftlichen Lage. Anders als in an- deren schuldengeplagten Ländern wie Griechenland oder Italien tickt die tür- kische Schuldenbombe nicht im öffent- lichen Sektor, sondern in den hochver- schuldeten Unternehmen und Haushal- ten. Die private Schuldenstandsquote liegt bei 170 Prozent des BIP, mit mehr als der Hälfte in ausländischer Währung. Jeder weitere Absturz der Lira erschwert daher die Tilgung und lässt das Ausfall- risiko in die Höhe schnellen. Die von der Zentralbank zur Verteidigung ins Treffen geführten Brutto-Devisenreserven von 72,6 Milliarden Dollar scheinen bei wei- tem nicht ausreichend, um die bevorste- henden Schuldenrückzahlungen zu be- gleichen. Alleine bis Mitte Juli werden laut Schätzungen von JPMorgan rund 179 Milliarden Dollar externer Kredite fällig, davon 146 Milliarden aus dem Pri- vat- und Bankensektor. erDOgan in beDrÄngnis Die Schieflage der türkischen Wirt- schaft scheint nun endgültig auch auf die Politik durchzuschlagen. Mit den Rissen in der jahrelang verfolgten Wirt- schaftspolitik sinkt auch der Rückhalt in BRennpunkt | Türkei 12 | GELD-MAGAZIN – JuNI 2019 der Bevölkerung. Und so musste Erdo- gans AKP bei den heiß umkämpften Kommunalwahlen im März herbe Rück- schläge, besonders in den großen Städ- ten Ankara, Izmir und Istanbul, einste- cken. Das Aufbäumen der Regierung mit der Annullierung und Wiederholung der Wahl in Istanbul könnte sich nun zusätz- lich als Schuss ins eigene Knie erweisen. Nicht nur ausländische Investoren sind durch die politische Willkür und die ein- hergehende Verzögerung von dringend notwendigen Reformen verschreckt, son- dern auch unter den bisher zurückhal- tenden Unternehmen regen sich erste Widerstände. In ungewöhnlich deut- lichen Worten kritisierte der Verband der Türkischen Industriellen und Ge- schäftsleute (Tüsiad) das Vorgehen der Regierung. „Damit sich die Wirtschaft aufhellt, muss der Rechtsstaat verbes- sert werden“, kommentierte der Tüsiad- Spitzenvertreter Tuncay Özilhan die Vor- kommnisse und mahnte damit, dass die türkische Wettbewerbsfähigkeit unter der politischen Einflussnahme wegzu- brechen droht. Eine weitere Zerreißpro- be für Erdogan, die ihm seine Macht nun unter den Füßen wegziehen könnte. nach der brücke über den bosporus ist der neue istanbul airport das zweite umstrittene Mega- projekt erdogans. Die baukosten des weltgrößten Flughafens betrugen 12 Milliarden euro. credit: iGAirPOrt.cOM „ die devisenreserven der türkei sind seit Februar um beinahe zwei drittel, und damit dramatisch, gesunken. “
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