GELD-Magazin, Juni 2019
Landeswährung Lira verlor massiv an Wert, während die Inflation immer wei- ter zunahm und die Devisenreserven schrumpften. Zentralbank als Dreh- und Angelpunkt Die Türkei befindet sich seither in ei- ner beispielhaften Emerging Markets- Währungskrise, in der die jahrzehnte- lange Abhängigkeit von ausländischem Kapital, gepaart mit der plötzlichen, teils politisch bedingten Kapitalflucht, eine Abwärtsspirale in Gang setzte. Nachdem die ohnehin schwächelnde türkische Lira aufgrund von Handelssanktionen der USA im vergangenen Jahr mehr als 30 Prozent an Wert gegenüber dem Dollar einbüßte, galoppierte die Inflation – ge- trieben von stark importabhängigen Gü- tern wie Öl, Rohstoffen und Lebensmit- teln – auf über 20 Prozent. Von Zinser- höhungen will Erdgan, der seinen Ein- fluss auf die Geldpolitik per Dekret ver- stärkte, aber dennoch nichts wissen. Im- mer wieder sprach er von einer auslän- dischen „Zinslobby“, die sich auf Kosten der Türkei bereichern wolle und stellt mit seiner allen Marktmechanismen wider- sprechenden Theorie, „Inflation mit nied- rigen Zinsen bekämpfen zu wollen“, die Unabhängigkeit der Zentralbank massiv auf den Prüfstand. Nachdem sich – der direkt von Präsident Erdogan bestellte – Notenbank-Chef Çetinkaya als Reak- tion auf die letztjährige Lira-Abwertung im September noch zu einer Leitzinser- höhung um 625 Basispunkte durchrin- gen konnte, rückten weitere Erhöhungen trotz der derzeitigen 19,5 Prozent Infla- tion in der aktuellen Zentralbankrheto- rik in weite Ferne. Ein Schlag gegen das Vertrauen der Investoren, denn die im Gegenzug ergriffenen anti-inflationären Maßnahmen, wie die Senkung von Ein- fuhrzöllen und die erzwungene Freiga- be von Lagerbeständen, schädigen ei- nerseits nachhaltig die Stellung inlän- discher Produzenten, während anderer- seits die wenig erfolgreichen Marktinter- ventionen zur Stützung der Lira die De- visenreserven der Zentralbank langsam auffressen. Die Türkei braucht Cash Obwohl das durch die Lira-Schwäche und den damit verbundenen Importrück- gang sinkende Leistungsbilanzdefizit von der Zentralbank als Erfolg gefeiert wird, ist man weit davon entfernt, die schwe- lenden Probleme in Angriff zu nehmen. Der wahlkampftaktische Kurs Erdogans, mittels kreditgetriebenen Wachstums die Wirtschaft künstlich am Leben zu erhal- ten und die Landeswährung gleichzeitig mit populistischer Geldpolitik zu stüt- zen, erweist sich immer mehr als Spiel auf Zeit. Die anhaltende expansive Poli- Juni 2019 – GELD-MAGAZIN | 11 ei”, Präsident Recep Tayyip eisterkandidat der oppositio- „Ich weiß, wie jene, die der Türkei von innen schaden wollen, zur Rechen- schaft gezogen werden können.“ Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei „Die Türkei wird bei der Inflation und der Arbeitslosig- keit bis zum Jahres ende deutlich besser dastehen.“ Berat Albayrak, Finanzminister und Erdogan-Schwiegersohn „Unsere Reser- ven schwinden, die Kaufkraft der Bevölkerung nimmt ab und sogar Türken geben die Lira langsam auf.“ Tuncay Özilhan, TÜSIAD Türkei | brennpunkt Die neue Brücke, die den asiatischen und europäischen Teil Istanbuls verbindet, ist eines der Vorzeigeprojekte Erdogans, mit denen sich die Türkei übernommen hat.
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