GELD-Magazin, Juni 2019

R ezession, eine Währung im Sturzflug und politischer Still- stand – von der einstigen Stärke der türkischen Wirtschaft ist derzeit nicht mehr viel übrig. Überstieg das BIP- Wachstum 2017 mit 7,4 Prozent sogar noch jenes von China und Indien, geht es seit vergangenem Jahr steil bergab. Wie Mitte März – kurz vor den wichtigen Kom- munalwahlen – bekannt gegeben wurde, schrumpfte die türkische Wirtschaft Ende 2018 so stark wie seit der Finanz- krise 2009 nicht mehr. Für heuer pro- gnostiziert die OECD gar einen Rückgang von 2,6 Prozent. Eine Krise, welche die Türkei nicht nur wirtschaftlich trifft, son- dern auch die politischen Karten neu mi- schen könnte. Vertrauen verspielt Lange galt das aufstrebende Schwel- lenland mit junger Bevölkerung und re- lativ demokratischen Verhältnissen als Liebling der Investoren. Ausländisches Geld floss in Strömen ins Land, lukrative Exportverträge wurden zuhauf in den un- zähligen Luxusrestaurants Istanbuls un- terzeichnet und monumentale Baupro- jekte, wie die neue Bosporusbrücke und der 2018 eröffnete Istanbuler Megaflug- hafen, wurden scheinbar nur um ihrer selbst willen aus dem Boden gestampft. Doch das wachsende Investoreninte- resse erwies sich schon bald als Segen und Fluch zugleich, denn es waren ge- rade diese Boomjahre, die das Selbstver­ trauen Erdogans beflügelten und damit die politische Stabilität des Landes in ih- ren Grundfesten erschüttern sollten. ImWindschatten des wirtschaftlichen Aufschwungs und der begleitenden Rü- ckendeckung weiter Teile der Bevölke- rung gelang es Erdogan nämlich, seine Macht Stück für Stück weiter auszubau- en. Im Jahr 2017, nach elf Jahren als Ministerpräsident, weiteren drei Jahren als Präsident und ein Jahr nach dem ge- scheiterten, aber folgenschweren Putsch- versuch, gelang Erdogan per Referendum der Wechsel von einer parlamentarischen Demokratie zu einem Präsidialsystem – und damit die endgültige Realisierung der lange gehegten Allmachtsfantasien um seine Person. Wichtige Positionen im Staat wurden mit Günstlingen Erdogans besetzt, die Medien unter Kontrolle ge- bracht und massenhaft unliebsame Kri- tiker inhaftiert. Mit Anbruch dieser „neuen Türkei“ zogen sich jedoch auch die Investoren aus dem Land am Bosporus zurück. Die Folgen: die Wirtschaft kühlte ab und die creditS: Palinchak/Dreamstime.com,BeratAlbayrak: NAMiK, Tuncay Özilhan:TÜSIAD 10 | GELD-MAGAZIN – Juni 2019 Vom Investoren-Liebling an den Rand des Abgrunds. Reformstau, populistische Wirtschaftspolitik und Machtkonzentration brachten das Land am Bosporus ins Taumeln. Der Allmachtsanspruch des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan fällt in sich zusammen. Doch wie geht es nun weiter? Moritz Schuh Zitate: “Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Tür Erdoğan „Alles wird gut”, Ekrem İmamoğlu Bürger nellen CHP Aktienmarkt Türkei Türkische Lira am Boden Seit seinem Höchststand im Jahr 2013 verlor der Leitindex ISE 100 mehr als 60 Prozent. 2018 verlor die türkische Lira rund 30 Pro- zent an Wert, heuer weitere 15 Prozent. Krise am Bosporus Brennpunkt | Türkei

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