GELD-Magazin, Mai 2019

BESSERES LEBEN. Er ist wohl der be- kannteste Philosoph deutscher Zunge unserer Tage: Richard David Precht. Seine Populari- tät beruht auch darauf, dass er immer wieder brennende aktuelle Themen anvisiert, wobei Precht genau zielt und scharf schießt: „Die Großmächte aus der Zeit der fossilen Ener- gieträger bäumen sich ein letztes Mal auf, be- gleitet von Endzeiterscheinungen wie Donald Trump, und schlagen die Welt in Scherben, statt sie zu heilen ...“ ist in seinem neuesten Buch „Jäger, Hirten, Kritiker“ zu lesen. Hier zeichnet er „eine Utopie für die digitale Gesell- schaft“. Und diese Welt könnte mitunter sehr finster aussehen, beherrscht von Großkonzer- nen aus dem Silicon Valley, die uns unsere Da- ten abluchsen, schön verpacken und an den Meistbietenden verkaufen. Demokratie, Wohl- stand und Freiheit des Individuums wären in so einem Szenario am absteigenden Ast. Aber so weit muss es nicht kommen, auch eine viel bessere Welt ist möglich, die Platz zur Entfal- tung und Selbstverwirklichung bieten könnte. Um das umzusetzen, spricht sich Precht ein- deutig für die Einführung eines bedingungs- losen Grundeinkommens aus. Von der Last der Lohnarbeit befreit, könnte der Mensch bildlich gesprochen morgens jagen, nachmittags fischen, abends Viehzucht treiben und nach dem Essen kritisieren, „ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“. Wer bezahlt das Ganze? Precht meint, dass eine minimale Fi- nanztransaktionssteuer ausreichen würde; am bedingungslosen Grundeinkommen würde oh- nedies kein Weg vorbeiführen, weil die Digitali- sierung Massenarbeitslosigkeit zur Folge habe. UNBEKANNTES GENIE. Es ist kein gewöhnlicher Titel, den der Investmentexperte und studierte Philosoph Georg von Wallwitz für dieses Buch gewählt hat: „Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt.“ Wie kam es dazu? In dem Werk werden Einfluss und Leben von Da- vid Hilbert (1862-1943) beschrieben, seines Zeichens nicht nur einer der bedeutendsten Mathematiker seiner Zeit, sondern der ge- samten Wissenschaftshistorie. Hilbert war in vielen Beziehungen Vorreiter, so bemühte er sich darum, seiner Mitarbeiterin Emmy Noether eine Professur zu verschaffen. Frau und professionelle Wissenschafterin? Damals keine Selbstverständlichkeit. Hilbert meinte, in einer Badeanstalt möge es üblich sein, nach Geschlechtern zu trennen, nicht aber in der Wissenschaft. Durch diese Begebenheit entstand ein origineller Buchtitel, der zum Lesen einlädt. So erfahren wir Wissenswertes über einen Denker, der einer breiten Masse wohl weitgehend unbekannt ist. Schade, denn Hilbert ist laut Autor Wallwitz für die moderne Naturwissenschaft ebenso wichtig wie Picasso für die Kunst. Auch unsere moderne Welt sei ohne Hilbert eigentlich gar nicht vorstellbar. Überaus interessant: Im Jahre 1915 reichte er fünf Tage vor Albert Einstein eine Arbeit zur allgemeinen Relativitätstheorie ein, die mit dessen Theorie mehr oder weniger gleichwer- tig war. Einsteins Werk erschien jedoch früher – und heimste praktisch den gesamten Ruhm ein. Die Urheberschaft für die Relativitätstheo- rie wurde wiederum von Hilbert nie eingefor- dert. Was ihn somit auch zu einem beschei- denen und sympathischen Genie macht. MARKETING & HANDEL. Nicht viele Menschen können auf die Schnelle etwas mit dem Begriff der „Hypnoästhetik“ anfagen – dabei ist sie auch in der Geschäftswelt gar nicht so selten anzutreffen. Warum tauchen etwa überall in Läden „Giant Mannequins“ auf, also Schaufensterpuppen, die mehr als zwei Meter groß sind und wie gestreckt aussehen? So ein Anblick kann einen schon irgendwie hypnotisch anziehen, oder? Hier spricht man von „Destabilization, die wie ein Spritzer kalten Wassers die Seele öffnen soll“. Wobei wir wieder zur Hypnoästhetik zurück- kommen; Christian Mikunda beschreibt in vorliegendem Buch ihre Mechanismen, in der Techniken der Psychotherapie und künstle- risches Geschick zur marketingtechnischen Verführung verschmelzen. Ihre Inszenierungen sollen eine Erlebniswirkung auslösen, deren Ursache unerklärlich scheint und deshalb tief unter die Haut geht. Ein Phänomen, das man nicht zuletzt aus Kultur und Architektur kennt, das sich aber eben auch geschäftstüchtig einsetzen lässt. Besonders gut eignet sich Hypnoästhetik für den stationären Einzelhan- del, hier sind ihre Kunstgriffe die schweren Geschütze, die in realen Läden als Gegen- gewicht zum übermächtigen Online-Handel in Stellung gebracht werden. Autor Mikunda weiß, wovon er schreibt: Der Experte berät die Automobilindustrie, den Einzelhandel, TV- Sender, Museen genauso wie Flughäfen und Shopping Malls. Das Buch „Hypnoästhetik“ selbst macht den Leser mit einer Welt bekannt, die vertraut scheint, deren Auswirkungen aber nicht gleich an der Oberfläche ersichtlich sind. MEINE HERREN, DIES IST KEINE BADEANSTALT Georg vonWallwitz.Verlag: Berenberg. 240 Seiten. ISBN: 978-3-94633424-8 JÄGER, HIRTEN, KRITIKER Richard David Precht.Verlag: Goldmann. 282 Seiten. ISBN: 978-3-442-31501-7 HYPNOÄSTHETIK Christian Mikunda.Verlag: Econ. 271 Seiten. ISBN: 978-3-430-20267-1 BUCHTIPPS | Neuerscheinungen & Pflichtlektüre 82 | GELD-MAGAZIN – MAI 2019 CREDITS: beigestellt

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